Bundessozialgericht

Verhandlung B 14 AS 61/20 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Weiterbildungskosten - Kinderbetreuung - Verpflegungskosten

Verhandlungstermin 14.12.2021 13:30 Uhr

Terminvorschau

T. K. ./. Jobcenter Berlin Tempelhof-Schöneberg
Streitig ist, ob Kosten für die Verpflegung von Kindern in einer Kindertagesstätte während einer nach dem SGB II geförderten beruflichen Weiterbildungsmaßnahme ihrer Mutter zu erstattende Weiterbildungskosten für Kinderbetreuung sind.

Die Kinder besuchten bis zu ihrer Einschulung eine Kindertagesstätte. Für beide Kinder zahlte die Klägerin auf Rechnung der Kindertagesstätte im streitbefangenen Zeitraum lediglich monatliche Verpflegungsbeiträge in Höhe von je 23 Euro, zudem 12 Euro monatlich (ab 1.1.2015 17 Euro monatlich) für die "restliche Vollverpflegung".

Im Bescheid über die Bewilligung von Leistungen für die Teilnahme an der Weiterbildungsmaßnahme (Juni 2014 bis Juni 2016), einschließlich Lehrgangs- und Fahrkosten, lehnte das beklagte Jobcenter die Übernahme der Betreuungskosten für die Kinder im Wesentlichen ab. Nach Maßgabe des Tagesbetreuungskostenbeteiligungsgesetzes des Landes Berlin (TKBG) sei der Besuch einer Kindertagesstätte in den letzten drei Jahren vor Beginn der regelmäßigen Schulpflicht mit Ausnahme des Mittagessens kostenfrei. Kosten seien der Klägerin mithin nur für die im Angebot enthaltene Verpflegung entstanden. Der Verpflegungsbedarf der Kinder sei jedoch Bestandteil des Regelbedarfs und könne nicht gesondert übernommen werden.

Den Überprüfungsantrag der Klägerin insoweit lehnte der Beklagte ebenfalls ab; Klage und Berufung hiergegen sind ohne Erfolg geblieben. Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt, bei den Verpflegungskosten handle es sich nicht um Kinderbetreuungskosten iS des § 16 Abs 1 SGB II iVm §§ 83 Abs 1 Nr 4, 87 SGB III. Die Verpflegungskosten seien solche des allgemeinen Lebensunterhalts der vom Regelbedarf erfasst werde. Zuletzt fehle es an einem unmittelbaren kausalen Zusammenhang zwischen den Verpflegungskosten und der Teilnahme an der Maßnahme. Aufwendungen für das Essen seien nicht "für" die Betreuung angefallen.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision und rügt eine Verletzung der § 16 Abs 1 SGB II iVm §§ 83 Abs 1 Nr 4, 87 SGB III.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Berlin - S 99 AS 22900/15, 15.08.2018
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 34 AS 1703/18, 18.06.2020

Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 44/21.

Terminbericht

Auf die Revision der Klägerin sind die Urteile von LSG und SG sowie die Bescheide des Beklagten geändert worden. Sie hat Anspruch auf Übernahme der Verpflegungskosten ihrer Kinder als Kosten der Kinderbetreuung in tatsächlich entstandener Höhe während der Weiterbildungsmaßnahme in der Zeit zwischen dem 18.6.2014 und dem 17.6.2016.

Rechtsgrundlage hierfür sind § 16 Abs 1 Satz 2 Nr 4 1. Alt SGB II iVm §§ 83 Abs 1 Nr 4 und 87 SGB III. Nach § 83 Abs 1 Nr 4 SGB III sind Weiterbildungskosten ua Kosten für die Betreuung von Kindern, wenn sie unmittelbar durch die Weiterbildung entstehen. Durch die Weiterbildung entstehen Kinderbetreuungskosten bereits dann, wenn während der Weiterbildung die Beaufsichtigung der Kinder sichergestellt werden muss, eine Teilnahme an der Maßnahme ohne die Betreuung der Kinder also nicht möglich ist.

Sind in diesem Sinne Kosten für die Kinderbetreuung durch die Weiterbildung entstanden, erfassen diese auch die Verpflegung der Kinder während ihres Aufenthalts in der "Betreuung". Ein normativer Ansatzpunkt, zwischen Kinderbetreuungskosten "im engeren Sinn", dh beschränkt auf die Dienstleistung "Betreuung", und sonstigen Kosten, ua die Verpflegung der Kinder, zu differenzieren, findet sich in den §§ 83 ff SGB III nicht.

Gegen ein solches Verständnis spricht auch nicht, dass bei Weiterzubildenden und ihren Kindern, die im SGB II-Leistungsbezug stehen, Aufwendungen für Verpflegung vom Regelbedarf umfasst sind und die Kinder für die gemeinschaftliche Mittagsverpflegung nach § 28 Abs 6 SGB II Leistungen zur Bildung und Teilhabe beanspruchen könnten. Aus der in § 16 Abs 1 SGB II enthaltenen Rechtsgrundverweisung auf die Vorschriften der §§ 81 ff SGB III folgt, dass diese Vorschriften abschließend im Hinblick auf den in Bezug genommenen Leistungskatalog sind. Zugleich ist der Träger damit aber auch an die dortigen Leistungsvoraussetzungen und den Leistungsumfang gebunden. Da weder § 83 Abs 1 Nr 4 noch § 87 SGB III die Erbringung von Kosten der Kinderbetreuung von der finanziellen Leistungsfähigkeit des Teilnehmenden abhängig machen oder Sonderregelungen für Bezieher existenzsichernder Leistungen vorsehen, verbietet sich ein Verständnis, das die Auslegung des Begriffs der Betreuungskosten von der Frage der Finanzierung des Lebensunterhalts des Teilnehmenden abhängig macht. Zudem sind die aktiven Leistungen durch Rechtsgrundverweisung auf das bedarfsunabhängige SGB III gegenüber den passiven Leistungen nach dem SGB II vorrangig, also auch gegenüber Leistungen der Mittagsverpflegung nach § 28 Abs 6 SGB II.

Der Beklagte hat allerdings im vorliegenden Fall nur Kosten in dem tatsächlich entstandenen Umfang zu übernehmen und nicht pauschal 130 Euro pro Kind. Der in § 87 SGB III benannte Betrag ist ein Höchstbetrag, der die zu übernehmenden Aufwendungen der Höhe nach deckelt.

Die Berichte zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 44/21.

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