Bundessozialgericht

Verhandlung B 14 AS 73/20 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Sozialgeldanspruch - temporäre Bedarfsgemeinschaft - Kind

Verhandlungstermin 14.12.2021 12:30 Uhr

Terminvorschau

1. D. Sch., 2. A. Sch. ./. Jobcenter Dortmund
Im Streit steht die teilweise Aufhebung der Bewilligung von Sozialgeld wegen der Zugehörigkeit zu einer anderen - temporären - Bedarfsgemeinschaft.

Die im streitigen Zeitraum 2014 elf- und vierzehnjährigen Kläger lebten überwiegend im Haushalt ihrer Mutter. Die Eltern sind seit 2012 geschieden und übten das Sorgerecht gemeinsam aus. Wegen des Umgangs mit dem Vater war ein Aufenthalt der Kläger bei ihm an jedem zweiten Wochenende von Freitag bis Sonntag und zusätzlich während der Hälfte der Ferien vereinbart. Für die Kläger wurde Kindergeld gezahlt. Der jüngere Kläger erhielt zudem Unterhaltsvorschuss. Den Klägern wurde zur Bedarfsdeckung darüber hinaus Sozialgeld erbracht. Beide Elternteile bezogen Alg II vom beklagten Jobcenter.

Nachdem der Beklagte vom regelmäßigen Aufenthalt der Kläger bei ihrem Vater erfahren hatte, konkretisierten die Eltern die Umgangstage. Der Beklagte hob daraufhin die Bewilligungen des Sozialgeldes gestützt auf § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X teilweise auf. Ein Anspruch der Kläger auf Sozialgeld in der Bedarfsgemeinschaft mit der Mutter bestehe während des Aufenthalts bei dem Vater nicht. Wegen des Aufenthalts bei ihrem Vater bewilligte der Beklagte den Klägern anteiliges Sozialgeld als mit diesem in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen. Hieran hielt er auch im Widerspruchsverfahren fest.

Die Kläger machen geltend, ihr Existenzminimum sei wegen der Kürzung des Sozialgelds bei ihrer Mutter gefährdet. In deren Haushalt fielen auch während ihres Aufenthalts beim Vater weiterhin Kosten für Strom, Hausrat, Bekleidung und Lebensmittel an. Aus dem Verbot der anteiligen Reduzierung der Kosten für Unterkunft während ihrer Abwesenheit im Rahmen der Umgangskontakte folge auch das Verbot einer Aufteilung des Sozialgelds. Das SG hat die Klagen abgewiesen. Das LSG hat die Berufungen ua mit der Begründung zurückgewiesen, durch die Ansprüche der Kläger auf Sozialgeld in der Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Vater sei eine wesentliche Änderung eingetreten. An diesen Tagen sei spiegelbildlich von einem verringerten Regelbedarf in der Bedarfsgemeinschaft mit der Mutter auszugehen. Bei regelmäßigen Aufenthalten in zwei Bedarfsgemeinschaften bestehe monatlich insgesamt nur ein Anspruch auf den Regelbedarf für 30 Tage.

Mit ihren vom LSG zugelassenen Revisionen rügen die Kläger die Verletzung von § 7 Abs 2 Satz 1 SGB II.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Dortmund - S 29 AS 173/15, 23.01.2019
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 7 AS 535/19, 13.08.2020

Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 44/21.

Terminbericht

Die Revisionen der Kläger sind iS der Aufhebung der Entscheidung des LSG und Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung erfolgreich gewesen. Der Senat konnte auf Grundlage der Feststellungen des LSG keine abschließende Entscheidung treffen.

Offen ist bereits, ob die bewilligende Ausgangsentscheidung mit Wirkung für die Zukunft auf der Grundlage von § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X - wovon Beklagter und LSG ausgehen - aufgehoben werden durfte, also wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse. Alternativ könnte § 45 SGB X - wegen einer bestehenden anfänglichen Rechtswidrigkeit - die zutreffende Rechtsgrundlage sein. Insoweit kommt es vorliegend darauf an, wann die Vereinbarung zum Aufenthalt der Kläger bei ihrem Vater getroffen und wie diese umgesetzt wurde.

Abhängig von der Umsetzung der Vereinbarung ist auch, ob der Erlass eines endgültigen Bewilligungsbescheides ein taugliches Instrument war. Denn wenn die rechtlich maßgebliche tatsächliche Lage nicht von vornherein mit hinreichender Deutlichkeit abzusehen ist, muss das Jobcenter vorläufig bewilligen; dies gilt nicht nur bei schwankendem Einkommen. Umgekehrt genügt allein die Möglichkeit einer Änderung des leistungsrelevanten Sachverhalts für eine vorläufige Bewilligung nicht. Denn letztlich unterläuft die vorläufige Bewilligung die vertrauensschützenden Regelungen der §§ 45 und 48 SGB X.

Materiell-rechtlich hatten die Kläger an Tagen, in denen sie in Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Vater lebten, keinen Anspruch auf Regelbedarfe in der Bedarfsgemeinschaft mit ihrer Mutter und umgekehrt. Dem seine Umgangsrechte mit einem Elternteil wahrnehmenden Kind stehen auch bei regelmäßigen Aufenthalten in zwei Bedarfsgemeinschaften monatlich insgesamt Ansprüche für nur 30 Tage zu. Die Zuordnung von Ansprüchen auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Mitglied von zwei Bedarfsgemeinschaften führt nicht zu einer Erhöhung des pauschalierten Regelbedarfs.

Der Senat konnte gleichwohl nicht abschließend beurteilen, ob die Leistungen - wie vom Beklagten angenommen - rechtswidrig zu hoch bewilligt worden sind. Offen bleibt insoweit zB, ob bei den Klägern Mehrbedarfe, auch durch den Aufenthalt in zwei Bedarfsgemeinschaften, zu decken waren. Ebenfalls mangelt es an Feststellungen zum zu berücksichtigenden Einkommen.

Die Berichte zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 44/21.

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