Verhandlung B 6 KA 3/21 R
Vertragsarztrecht - vertragsärztliche Versorgung - psychiatrische Institutsambulanz (PIA) - Außenstelle - Versorgungsbedarf
Verhandlungstermin
29.06.2022 10:00 Uhr
Terminvorschau
P.-Klinikum für Psychiatrie und Neurologie AdöR ./. Berufungsausschuss in Rheinland-Pfalz, 7 Beigeladene
Die Beteiligten streiten um die Erteilung einer Ermächtigung zum Betrieb einer psychiatrischen Institutsambulanz (PIA) in einer räumlich und organisatorisch nicht an ein Krankenhaus angebundenen Einrichtung.
Die Klägerin ist Trägerin eines Krankenhauses für Psychiatrie und Neurologie in K in Rheinland-Pfalz mit PIAs ua in L, S und W. Seit Oktober 2015 betreibt sie eine Wohneinrichtung für psychisch beeinträchtigte Menschen in B. Ihren Antrag, sie nach § 118 Abs 4 SGB V zum Betrieb einer PIA vor Ort in B zu ermächtigen, lehnte der Zulassungsausschuss ab. Der beklagte Berufungsausschuss wies den Widerspruch der Klägerin zurück. Es bestünden bereits entsprechende Angebote in L, S und W. Alle drei PIAs lägen in zumutbarer Entfernung für die Patienten. Zumindest die PIAs in L (19,4 km von B) und W (14,6 km von B) seien auch mit dem öffentlichen Nahverkehr gut erreichbar.
Klage und Berufung sind erfolglos geblieben. Das LSG hat unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des SG im Wesentlichen ausgeführt, der Versorgungsbedarf der Bewohner der Wohneinrichtung in B könne durch die bereits bestehenden PIAs sichergestellt werden, auch wenn es sich um Patienten mit schweren psychischen Krankheitsbildern handele, die einer engmaschigen ambulanten Betreuung bedürften. Es bestehe eine gute Verkehrsanbindung nach W und L. Die Klägerin könne nicht einwenden, dass es den Bewohnern der Wohneinrichtung krankheitsbedingt nicht möglich sei, diese PIAs aufzusuchen. Zu den Zielen der Wohneinrichtung gehöre die Wiedereingliederung der Bewohner in das gesellschaftliche Leben. Hierzu gehöre auch die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs zu den PIAs, die nicht weiter als 25 km von B entfernt seien.
Die Klägerin rügt mit ihrer Revision eine Verletzung von § 118 Abs 4 iVm Abs 1 SGB V. Der Beklagte habe bei der Bewertung der Zumutbarkeit der Entfernungen zu den umliegenden PIAs insbesondere nicht ausreichend berücksichtigt, dass nach Art 25 Satz 3 Buchst c der UN-Behindertenrechtskonvention “Gesundheitsleistungen so gemeindenah wie möglich“ anzubieten seien.
Vorinstanzen:
Sozialgericht Mainz - S 6 KA 373/16, 15.05.2019
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz - L 5 KA 17/19, 19.11.2020
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Terminbericht
Die Revision der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Der Beklagte und die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Erteilung einer Ermächtigung für eine psychiatrische Institutsambulanz am Standort in B hat. Ein solcher Anspruch lässt sich aus § 118 Abs 4 SGB V auch unter Berücksichtigung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und dem verfassungsrechtlichen Benachteiligungsverbot von Menschen mit Behinderungen nicht begründen.
Der bestehende Versorgungsbedarf von Personen der Wohneinrichtung in B und weiterer behandlungsbedürftiger Personen kann durch ein hinreichend wohnortnahes Angebot von bereits vorhandenen regionalen psychiatrischen Institutsambulanzen sichergestellt werden. Der Senat hält in ständiger Rechtsprechung für allgemeine Leistungen im Rahmen der hausärztlichen und allgemeinen fachärztlichen Versorgung Wege von mehr als 25 km in der Regel für unzumutbar. Hier liegen die Wegezeiten unter dieser Grenze. Auch die Fahrzeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln beträgt unter einer Stunde. Dies ist hier jedenfalls als ausreichend anzusehen. Der Senat übersieht dabei nicht, dass es sich um einen Personenkreis mit schweren Verläufen psychischer Erkrankungen handelt, bei dem sich das Krankheitsbild auch in Antriebslosigkeit oder in der Ablehnung von therapeutischen Behandlungsangeboten manifestieren kann. Das Konzept der psychiatrischen Institutsambulanz bietet hierfür jedoch geeignete Hilfestellungen im Rahmen der sog aufsuchenden Hilfe, also durch den Einsatz von Behandlern und/oder Pflegern im häuslichen Umfeld des Versicherten. Daneben sieht das SGB V für Menschen mit schweren psychischen Beeinträchtigungen weitere ambulante Maßnahmen der Krankenbehandlung wie etwa die Soziotherapie nach § 37a SGB V, die stationsäquivalente Behandlung oder Krankenbehandlung im Rahmen von Modellvorhaben nach § 64b SGB V vor.
Ein weitergehender Ermächtigungsanspruch folgt weder aus Art 25 Abs 2 UN-BRK noch aus dem allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art 5 Abs 2 UN-BRK oder aus dem verfassungsrechtlichen Benachteiligungsverbot in Art 3 Abs 2 Satz 2 GG. Eine gemeindenahe ambulante Versorgung auch in ländlichen Gebieten, wie es Art 25 Abs 2 lit c UN-BRK formuliert, ist regelmäßig durch die Bedarfsplanung in der vertragsärztlichen Versorgung des SGB V gewährleistet. Zudem sind neben den ambulanten Maßnahmen des SGB V unterstützende Hilfeangebote anderer Leistungsträger gesetzlich vorgesehen, wie etwa eine Fahrt- oder Wegebegleitung im Rahmen der sozialen Teilhabe, zB als Leistung der Eingliederungshilfe.
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