Bundessozialgericht

Verhandlung B 8/7 AY 1/21 R

Asylbewerberleistungsrecht - Analogleistungen - Regelbedarfsstufe - Gemeinschaftsunterkunft - tatsächliches Füreinandereinstehen

Verhandlungstermin 11.08.2022 11:30 Uhr

Terminvorschau

Q. ./. Stadt Straubing
Der nach seinen Angaben aus Somalia stammende Kläger reiste im Mai 2017 über Italien nach Deutschland ein. Sein Asylantrag wurde im sogenannten Dublin-III-Verfahren zunächst als unzulässig abgelehnt; die Überstellung innerhalb der Überstellungsfrist scheiterte jedoch und der Ablehnungsbescheid wurde aufgehoben. Im Folgenden legte der Kläger im Asylverfahren eine gefälschte Geburtsurkunde vor. Das BAMF lehnte im Mai 2018 in Unkenntnis der Fälschung die Anträge auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, die Asylanerkennung und die Zuerkennung subsidiären Schutzes als unbegründet ab. Eine hiergegen gerichtete Klage wurde im Januar 2020 abgewiesen. 

Der Kläger, der seit März 2019 in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht ist, erhielt von der Beklagten ua für den Zeitraum von Juli bis Dezember 2019 sogenannte Analogleistungen in entsprechender Anwendung des SGB XII nach der Regelbedarfsstufe 1 in Höhe von 364,65 Euro sowie als Sachleistungen die Unterkunft, Energie und Wohnungsinstandhaltung, Innenausstattung sowie Haushaltsgeräte und -gegenstände. Die Beklagte hob nach Änderung des AsylbLG zum 1.9.2019 den Bewilligungsbescheid für die Zeit vom 1.9.2019 bis zum 31.12.2019 teilweise auf und gewährte aufgrund der Gesetzesänderung in § 2 Abs 1 Satz 4 Nr 1 AsylbLG neben den unverändert gebliebenen Sachleistungen Analogleistungen nur noch in Höhe von 322,55 Euro (Regelbedarfsstufe 2). Die Klage war teilweise (soweit nicht ab Oktober 2019 zugeflossenes Einkommen zu berücksichtigen war) erfolgreich; das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, dass das objektiv rechtsmissbräuchliche Verhalten des Klägers die Aufenthaltsdauer nicht kausal beeinflusst habe. Der Anspruch auf Analogleistungen nach der Regelbedarfsstufe 1 über den 1.9.2019 hinaus folge bereits aus der Übergangsregelung des § 15 AsylbLG. Zudem begegne ein Verständnis der Norm, das jede gemeinsame Unterbringung erfasse, verfassungsrechtlichen Bedenken und verstoße gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Daher sei im Wege der normerhaltenden teleologischen Reduktion ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal im Sinne eines tatsächlichen "Füreinandereinstehens" zu fordern, das vorliegend nicht erfüllt sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Landshut - S 11 AY 39/20, 14.10.2020
Bayerisches Landessozialgericht - L 8 AY 122/20, 29.04.2021

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 30/22.

Terminbericht

Der Senat hat den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung einen Vergleichsvorschlag unterbreitet, wonach der Kläger Grundleistungen auf Grundlage von §§ 3 Abs 1, 3a Abs 1 Nr 1, Abs 2 Nr 1 AsylbLG in der seit dem 1.9.2019 geltenden Fassung erhält. Die Sache ist sodann vertagt worden.

Der Vorschlag berücksichtigt einerseits, dass ein vom LSG festgestelltes rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers vorliegt, das für die Dauer des Aufenthalts auch kausal gewesen sein dürfte. Das BAMF hat den Asylantrag zwar als unbegründet abgelehnt; die 2019 noch anhängige Klage hat aufschiebende Wirkung entfaltet und der Kläger war nicht vollziehbar ausreisepflichtig. Die Vorlage gefälschter Urkunden ist wie die Täuschung über die Identität jedoch typischerweise geeignet, die Aufenthaltsdauer zu beeinflussen, was die Möglichkeit einer Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet in diesen Fällen deutlich macht (vgl § 30 Abs 3 AsylG). Eine Klage hat dann keine aufschiebende Wirkung; das ermöglicht der Ausländerbehörde überhaupt erst die zwangsweise Durchsetzung einer Ausreiseverpflichtung. Wie lange dem Kläger (etwa bei Inanspruchnahme von einstweiligem Rechtsschutz) ein Bleiberecht konkret zugestanden hätte, wenn die Fälschung früher erkannt worden wäre, ist für die Beurteilung der Kausalität unerheblich.

Andererseits bestehen gegen die Regelungen über Höhe der Leistungen bei Unterbringung allein stehender erwachsener Personen in einer Gemeinschaftsunterkunft sowohl bei Analogleistungen als auch bei Grundleistungen ernstliche verfassungsrechtliche Zweifel.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 30/22.

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