Bundessozialgericht

Verhandlung B 3 KS 2/21 R

Künstlersozialversicherung - Tanzpädagogin - Krankenversicherung - Pflegeversicherung - Versicherungspflicht - Befreiung 

Verhandlungstermin 10.11.2022 10:00 Uhr

Terminvorschau

T. R. ./.  Künstlersozialkasse bei der Unfallversicherung Bund und Bahn
Im Streit steht die Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) ab Mai 2018.

Die 1979 geborene Klägerin ist diplomierte Tanzpädagogin und war zunächst ab September 2004 als freie Mitarbeiterin in verschiedenen Tanz- und Ballettschulen tätig. Die beklagte Künstlersozialkasse stellte eine Versicherungspflicht in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung nach dem KSVG fest und befreite sie antragsgemäß ab September 2004 "nach § 6 KSVG" von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung. In der Begründung war ausgeführt, dass die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung und damit die Versicherungsfreiheit in der Pflegeversicherung "unwiderruflich bestehen" bleibe, wenn die Klägerin die Befreiung nicht bis spätestens zum 31.8.2007 beende, was sie nicht erklärte.

Mit Aufgabe der Tätigkeit der Klägerin als Tanzpädagogin zum 31.3.2011 stellte die Beklagte das Ende der Versicherungspflicht nach dem KSVG fest. Nachdem die Klägerin - die zwischenzeitlich über ihren Ehemann familienversichert gewesen war - ab Mai 2018 ihre Tätigkeit als Tanzpädagogin in zwei Ballettschulen wieder aufgenommen hatte, stellte die Beklagte die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung ab 1.5.2018 erneut fest. Jedoch bestehe wegen der bei der erstmaligen Aufnahme der Tätigkeit als selbständige Künstlerin abgegebenen Erklärung eine Befreiung nach § 6 KSVG in der Krankenversicherung und Versicherungsfreiheit in der Pflegeversicherung.

Das SG hat die Klage abgewiesen. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen: Dass die Klägerin ihre künstlerische Tätigkeit zwischenzeitlich eingestellt und im Mai 2018 wieder aufgenommen habe, ändere nichts an der Fortwirkung der Befreiung. Die Rechtsprechung des BSG zu § 8 SGB V sei nicht übertragbar.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 1 KSVG iVm § 6 Abs 1 und 2 KSVG sowie von § 8 SGB V. Der Befreiungsbescheid habe seine Wirkung mit Ende der selbständigen Tätigkeit verloren. Auch in § 8 SGB V sei die zeitliche Wirkung einer Befreiung von der Krankenversicherungspflicht nicht im Gesetzestext verankert. Insofern habe das BSG darauf abgestellt, dass Versicherungspflicht und -freiheit ihren Entstehungsgrund allein nach den Merkmalen des jeweiligen Beschäftigungsverhältnisses hätten und hierin ihre Begrenzung fänden.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Karlsruhe - S 15 KR 4108/18, 24.10.2019
Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 11 KR 3937/19, 16.06.2020

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 41/22.

Terminbericht

Die Revision der Klägerin war begründet. Zutreffend macht die Klägerin geltend, dass sich die ihr 2004 erteilte Befreiung von der Krankenversicherungspflicht nach dem KSVG nicht über die zwischenzeitliche Beendigung dieser Tätigkeit hinaus auch auf die Zeit nach ihrer Wiederaufnahme erstreckt.

Nach § 1 KSVG werden selbständige Künstler und Publizisten ua in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung versichert, wenn sie die künstlerische oder publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausüben und im Zusammenhang mit der künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit nicht mehr als einen Arbeitnehmer beschäftigen, es sei denn, die Beschäftigung erfolgt zur Berufsausbildung oder ist geringfügig im Sinne des § 8 SGB IV. Eine solche Tätigkeit übt die Klägerin nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG seit Mai 2018 erneut aus, ohne Arbeitnehmer zu beschäftigen; das steht zwischen den Beteiligten zu Recht nicht im Streit.

Hiernach unterliegt die Klägerin seit Mai 2018 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung ungeachtet des Umstands, dass sie sich von der Beklagten 2004 bei der erstmaligen Aufnahme der Tätigkeit als selbständige Tanzpädagogin von der Krankenversicherungspflicht hat befreien lassen und innerhalb der Frist des § 6 Abs 2 Satz 1 KSVG keine Erklärung zur Beendigung der Befreiung abgegeben hat. Bezogen auf die Dauer dieser Tätigkeit hat sich der Befreiungsbescheid mit deren Aufgabe Ende März 2011 gemäß § 39 Abs 2 SGB X erledigt. Schon nach den allgemeinen Regeln entfaltet ein Befreiungsbescheid Regelungswirkung nur in Bezug auf den jeweiligen Versicherungspflichttatbestand, aus dessen Anlass er ausgesprochen wurde (vgl nur BSG vom 25.5.2011 – B 12 KR 9/09 R – SozR 4-2500 § 8 Nr 3 RdNr 17 ff). Umso weniger kann angenommen werden, dass eine Befreiung von der Versicherungspflicht - hier in der gesetzlichen Krankenversicherung - im Rahmen des Sondersystems für selbständig tätige Künstler im Sinne des KSVG Bindungswirkung entfalten könnte auch für den Zeitraum nach Aufgabe der Tätigkeit als selbständiger Künstler. Das wäre im Übrigen auch dem Verfügungssatz des Befreiungsbescheids mit der Wendung “In der Krankenversicherung besteht ab 01.09.2004 Befreiung v[on] d[er] Versicherungspflicht n[ach] § 6 KSVG“ nicht zu entnehmen; mit dem damit in Bezug genommenen Verweis auf die Krankenversicherungspflicht “nach diesem Gesetz“ (§ 6 Abs 1 Satz 1 KSVG) beschränkte sich die Regelungswirkung der Befreiung ausdrücklich auf die Zugehörigkeit der Klägerin zum Sicherungssystem der Künstlersozialversicherung, aus dem sie mit Aufgabe ihrer Tätigkeit im März 2011 ausgeschieden war.

Fortdauernde Sperrwirkungen für den Zeitraum nach diesem Ausscheiden aus der Künstlersozialversicherung entfaltet die Befreiungsentscheidung ebenfalls nicht. Das ergibt sich insbesondere nicht aus § 6 Abs 2 Satz 1 KSVG, wonach die Beendigung einer nach § 6 Abs 1 Satz 1 KSVG erteilten Befreiung nur bis zum Ablauf der in § 3 Abs 2 KSVG genannten Frist erklärt werden kann. Dass eine Befreiung von der Krankenversicherungspflicht in der Künstlersozialversicherung nach Ablauf dieser Frist demgemäß nach Aufgabe der ursprünglichen selbständigen künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit der durch eine spätere Wiederaufnahme dieser Tätigkeit eintretenden Krankenversicherungspflicht nach dem KSVG entgegenstehen würde, kann der Senat dem KSVG nicht entnehmen. Nach der Rechtsprechung des BSG zur Versicherungspflicht in der Sozialversicherung erwachsen Versicherungspflicht oder Versicherungsfreiheit als gesetzliche Rechtsfolgen allein aus den Merkmalen des jeweiligen Beschäftigungsverhältnisses und haben allein darin ihren Entstehungsgrund und finden demgemäß darin auch ihre Begrenzung. Ein Übergreifen über die Grenzen des jeweiligen Beschäftigungsverhältnisses oder Versicherungspflichttatbestandes hinaus kann deshalb nur dann eintreten, wenn das Gesetz eine solche Rechtsfolge ausdrücklich vorsieht oder wenn Sinn und Zweck des Gesetzes dies zweifelsfrei gebieten (BSG aaO RdNr 28).

Das vermag der Senat mit der gebotenen Sicherheit nicht zu erkennen. Eine ausdrückliche Regelung in dem Sinne, dass eine einmal erteilte Befreiung von der Krankenversicherungspflicht nach dem KSVG auch für Zeiten der Wiederaufnahme einer künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit nach deren zwischenzeitlicher Aufgabe ohne Ausnahme dauerhaft gilt, enthält das Gesetz nicht. Soweit § 6 Abs 2 Satz 1 KSVG so verstanden werden kann, ist das jedenfalls nicht zweifelsfrei. § 6 Abs 1 KSVG soll selbständige Künstler und Publizisten im Sinne eines Berufsanfängerschutzes davor bewahren, bei der (erstmaligen) Aufnahme einer nach dem KSVG versicherten Tätigkeit einen zuvor bestehenden privaten Krankenversicherungsschutz aufgeben zu müssen, bevor sich die dauerhafte Tragfähigkeit der neuen Tätigkeit erwiesen hat (vgl BT-Drucks 8/3172 S 22). Das rechtfertigt es zwanglos, sie nach Ablauf der Drei-Jahresfrist nach § 6 Abs 2 Satz 1, § 3 Abs 2 KSVG für die unveränderte Fortdauer der selbständigen Tätigkeit an dieser Entscheidung festzuhalten; damit ist die Regelung systemgerecht und steht in Übereinstimmung mit vergleichbaren Vorschriften in anderen Sicherungssystemen. Daraus folgt allerdings nicht zwingend im Sinne einer zweifelsfrei feststellbaren Auslegung, dass von der Krankenversicherungspflicht nach dem KSVG befreit gewesene Personen nach der zwischenzeitlichen Aufgabe ihrer selbständigen künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit bei deren Wiederaufnahme deswegen an der Fortführung einer zwischenzeitlich erlangten Absicherung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung als Pflichtversicherte nach § 1 KSVG gehindert sind. Sollte der Gesetzgeber dieses Ziel verfolgt haben (vgl aber nunmehr BT-Drucks 20/3900 S 115), hätte er das vor dem aufgezeigten systematischen Hintergrund vielmehr ausdrücklich selbst bestimmen und im Einzelnen ausgestalten müssen (vgl in diesem Sinne auch BSG aaO RdNr 29).

Die Berichte zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 41/22.

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