Bundessozialgericht

Verhandlung B 5 R 29/21 R

Rentenversicherung - Erwerbsminderungsrente - Bestandsrentner - Zurechnungszeit

Verhandlungstermin 10.11.2022 13:45 Uhr

Terminvorschau

H. M. ./. DRV Bund
Der Kläger begehrt eine höhere Rente wegen Erwerbsminderung. Streit besteht darüber, ob er als sog. Bestandsrentner eine Neuberechnung der Rente nach den Regelungen verlangen kann, die ab dem 1.1.2019 für Neurentner galten.

Der im Jahr 1956 geborene Kläger bezog seit März 2004 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Bei deren Berechnung legte der beklagte Rentenversicherungsträger für den Zeitraum vom Eintritt der Erwerbsminderung im August 2003 bis zur Vollendung des 60. Lebensjahrs eine Zurechnungszeit von 154 Monaten zugrunde. Es ergaben sich insgesamt ca 47,6 persönliche Entgeltpunkte, von denen ca 14,3 persönliche Entgeltpunkte auf die Zurechnungszeiten entfielen. Daraus wurde eine monatliche Rente in Höhe von damals ca 1240 Euro berechnet. Im Januar 2019 verlangte der Kläger eine Neuberechnung seiner Erwerbsminderungsrente unter Berücksichtigung einer Zurechnungszeit, die erst mit Vollendung des 65. Lebensjahrs und acht Monaten endet, dh von zusätzlichen 68 Monaten. Dass die ab dem 1.1.2019 vorgesehene verbesserte Anrechnung von Zurechnungszeiten nur Erwerbsminderungsrentnern zugutekomme, deren Rente ab diesem Stichtag beginne, sei eine ungerechtfertigte Benachteiligung der Bestandsrentner. Die Beklagte lehnte eine Neuberechnung der Rente ab und wies auch den Widerspruch des Klägers zurück. Das Klage- und Berufungsverfahren ist ebenfalls ohne Erfolg geblieben. SG und LSG haben ausgeführt, der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG werde durch die unterbliebene Einbeziehung der Bestandsrentner in die Vergünstigung einer verlängerten Zurechnungszeit nicht verletzt. Der Gesetzgeber habe bei der Ausgestaltung der nicht auf eigenen Beiträgen beruhenden Zurechnungszeiten einen weiten Gestaltungsspielraum.

Mit seiner vom BSG zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Duisburg - S 53 R 507/19, 22.10.2019
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen   L 14 R 883/19, 13.03.2020

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 42/22.

Terminbericht

Die Revision ist ohne Erfolg geblieben. Der Kläger hat als Bestandsrentner keinen Anspruch darauf, dass seine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1.1.2019 unter Berücksichtigung der ab diesem Zeitpunkt für Neurentner maßgeblichen längeren Zurechnungszeit neu festgesetzt wird.

Die Voraussetzungen des hier einschlägigen § 48 Abs 1 SGB X zur Anpassung eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung im Fall einer Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse sind nicht erfüllt. Mit Inkrafttreten des § 253a Abs 2 SGB VI zur Verlängerung der Zurechnungszeit am 1.1.2019 ist eine wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse, die bei Erlass des für den Kläger zuletzt maßgeblichen Rentenbescheids aus dem Jahr 2011 vorgelegen haben, nicht eingetreten. Der Wortlaut dieser Vorschrift ordnet eindeutig an, dass die Regelung nur für im Jahr 2019 beginnende Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gilt. Dass die Verbesserung der Zurechnungszeit nur den Rentenneuzugängen, nicht aber den Bestandsrentnern zugutekommen sollte, ergibt sich auch deutlich aus den Materialien zum Gesetzgebungsverfahren.

Der Senat konnte unter Zugrundelegung des verfassungsrechtlich gebotenen Prüfungsmaßstabs für Stichtagsregelungen nicht die Überzeugung gewinnen, dass der Ausschluss der Bestandsrentner von einer Ausweitung der Zurechnungszeit das Gleichbehandlungsgebot des Art 3 Abs 1 GG verletzt. Für eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art 100 Abs 1 GG war somit kein Raum. Der Gesetzgeber reagierte mit der Verlängerung der Zurechnungszeiten auf das Absinken des Leistungsniveaus der Erwerbsminderungsrenten. Hiervon waren zwar auch die Bestandsrentner betroffen. Dass die Leistungsverbesserung nur der Gruppe der Neurentner zugutekommt, rechtfertigt sich aber aus zwei wesentlichen Erwägungen, die auch den Gesetzesmaterialien zu entnehmen sind. Zum einen wurde auf ein Strukturprinzip der gesetzlichen Rentenversicherung abgestellt, nach dem Rechtsänderungen - Kürzungen ebenso wie Verbesserungen - grundsätzlich nur für die Zukunft erfolgen und auf bereits laufende Renten nicht übertragen werden. Zum anderen wurde auf den ansonsten ganz erheblichen organisatorischen und finanziellen Mehraufwand verwiesen. Beide Gesichtspunkte bezeichnen sachliche Gründe, die die Differenzierung nicht als willkürlich erscheinen lassen. Das gilt insbesondere auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Gesetzgeber mittlerweile ab dem 1.7.2024 in § 307i SGB VI Zuschläge für Bestandsrentner vorgesehen hat, deren Erwerbsminderungsrente in den Jahren 2001 bis 2018 begann. 

Die Berichte zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 42/22.

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