Bundessozialgericht

Verhandlung B 4 AS 64/21 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - vorläufige Bewilligung - abschließende Entscheidung - Nullfeststellung - Nachreichen von Unterlagen im Klageverfahren - Präklusion

Verhandlungstermin 29.11.2022 10:30 Uhr

Terminvorschau

C. V. ./. Jobcenter team.arbeit.hamburg
Der Beklagte bewilligte der selbständig erwerbstätigen Klägerin für den zuletzt noch streitigen Zeitraum vom 1.4. bis 30.6.2017 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne Berücksichtigung von Einkommen. Im Folgenden forderte der Beklagte von der Klägerin unter Fristsetzung Unterlagen zum Nachweis der im Bewilligungszeitraum angefallenen Betriebseinnahmen und -ausgaben. Nach dem Verstreichen der Frist stellte der Beklagte fest, dass ein Leistungsanspruch nicht bestanden habe. Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe der vorläufigen Bewilligung begehrt. Das SG hat die Klägerin unter Fristsetzung und Hinweis auf § 106a SGG aufgefordert, Nachweise zu ihren Betriebseinnahmen und -ausgaben zu erbringen, und nach Verstreichen der Frist die Klage abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin Unterlagen vorgelegt, wonach sie (nur) im April 2017 Betriebseinnahmen in Höhe von 570 Euro erzielt hatte. Das LSG hat den Gerichtsbescheid abgeändert und den Beklagten unter Abänderung des angegriffenen Bescheids verpflichtet, der Klägerin für die Zeit vom 1.4. bis 30.6.2017 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Anrechnung des nachgewiesenen Selbständigeneinkommens zu bewilligen. Eine verfahrensrechtliche Präklusion nach § 157a Abs 2, § 106a Abs 3 Satz 1 SGG wegen Nichtvorlage der vom SG angeforderten Unterlagen sei mangels einer ordnungsgemäßen Fristsetzung nicht eingetreten. Die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen seien auch nach Erlass der abschließenden Entscheidung durch den Beklagten zu berücksichtigen. Bei der Regelung des § 41a Abs 3 Satz 2 bis 4 SGB II handele es sich nicht um eine materielle Präklusionsnorm.

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 41a Abs 3 SGB II. Die Vorschrift beinhalte eine materielle Präklusion.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Hamburg - S 29 AS 2751/19, 07.07.2020
Landessozialgericht Hamburg - L 4 AS 189/20, 05.08.2021

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 45/22.

Terminbericht

Der Senat hat die Revision des Beklagten zurückgewiesen. Zwar war der Beklagte ursprünglich zu der Feststellung berechtigt und verpflichtet, dass ein Leistungsanspruch im streitigen Zeitraum nicht bestand, nachdem die Klägerin der Aufforderung zum Nachweis der Betriebseinnahmen und -ausgaben nicht innerhalb der gesetzten Frist und auch nicht bis zum Abschluss des Vorverfahrens nachgekommen war. Insbesondere hatte der Beklagte mit der Aufforderung hinreichend über die Rechtsfolgen einer Nichtvorlage belehrt. Hierfür ist lediglich erforderlich, dass über die primären und spezifischen Rechtsfolgen des § 41a Abs 3 Sätze 3 und 4 SGB II belehrt wird. Dies ist hier geschehen. Nicht erforderlich ist hingegen, dass über die sekundäre Erstattungspflicht nach § 41a Abs 6 Sätze 3 und 4 SGB II belehrt wird.

Zu Recht ist das LSG aber davon ausgegangen, dass die im Berufungsverfahren von der Klägerin vorgelegten Unterlagen bei der Berechnung des Anspruchs zu berücksichtigen sind. Dem steht zum einen eine prozessuale Präklusion (§ 106a Abs 3, § 157a SGG) nicht entgegen. Weder das SG noch das LSG hat die diesbezüglichen Erklärungen und Beweismittel der Klägerin zurückgewiesen. Dies kann von vornherein keinen vom Revisionsgericht zu berücksichtigenden Verfahrensmangel darstellen. Zum anderen folgt aus § 41a Abs 3 Sätze 3 und 4 SGB II keine materielle Präklusion. Aufgrund der einschneidenden Folgen müssen sich Präklusionsvorschriften durch ein besonderes Maß an Rechtsklarheit auszeichnen. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Bereits dem Wortlaut des § 41a Abs 3 Sätze 3 und 4 SGB II lässt sich nicht hinreichend klar entnehmen, dass der Betroffene mit weiterem Sachvortrag nach Abschluss des Vorverfahrens ausgeschlossen sein soll. Eine solche Regelungsintention geht auch aus den entstehungsgeschichtlichen Materialien nicht hervor.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 45/22.

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