Bundessozialgericht

Verhandlung B 1 KR 4/22 R

Krankenversicherung - Vergütungsanspruch stationärer Krankenhausbehandlung  - Aufwandspauschale - Verlegung in wohnortnahes Krankenhaus

Verhandlungstermin 07.03.2023 14:30 Uhr

Terminvorschau

Universitätsklinikum Jena ./. IKK gesund plus
Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung sowie die Zahlung einer Aufwandspauschale.

Das klagende Universitätsklinikum behandelte eine bei der beklagten Krankenkasse Versicherte vom 16. bis 18. Mai 2017 vollstationär wegen eines subakuten Myokardinfarktes der Hinterwand bei koronarer Drei-Gefäß-Erkrankung. Am 18. Mai 2017 wurde sie aus dem Universitätsklinikum in ein wohnortnahes Krankenhaus verlegt und dort noch bis zum 26. Mai 2017 stationär weiterbehandelt. Das Universitätsklinikum stellte der Krankenkasse für die Behandlung der Versicherten 4319,55 Euro in Rechnung (Fallpauschale DRG F24B) und berücksichtigte dabei einen Verlegungsabschlag in Höhe von 1657,48 Euro. Das wohnortnahe Krankenhaus berechnete für die eigene stationäre Behandlung der Versicherten 2806,57 Euro. Die Krankenkasse beglich die Rechnung des Universitätsklinikums und beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung mit der Durchführung eines Prüfverfahrens. Im Ergebnis dieser Prüfung rechnete die Krankenkasse 1147,76 Euro mit einer anderen unstrittigen Forderung des Universitätsklinikums auf. Zur Begründung der Aufrechnung machte sie geltend, die Verlegung sei medizinisch nicht notwendig gewesen. Die Versicherte hätte im Universitätsklinikum bis zur Entlassung weiterbehandelt werden können und müssen. Dann hätte sie (die Krankenkasse) insgesamt für die stationäre Behandlung in den beiden Krankenhäusern 1147,76 Euro weniger vergüten müssen.

Das Sozialgericht hat die Krankenkasse zur Zahlung von 1447,76 Euro (1147,76 Euro zuzüglich 300 Euro Aufwandspauschale) nebst Zinsen verurteilt. Das Landessozialgericht hat die Berufung der Krankenkasse zurückgewiesen. Der Krankenkasse habe weder ein öffentlich-rechtlicher Erstattungs- noch ein Schadensersatzanspruch zugestanden. Sie könne nicht geltend machen, die Verlegung in das wohnortnahe Krankenhaus sei medizinisch nicht notwendig gewesen. Für einen solchen Einwand gebe es in den Abrechnungsbestimmungen keine Rechtsgrundlage. Dem Wirtschaftlichkeitsgebot werde durch den in § 3 Fallpauschalenvereinbarung 2017 geregelten Verlegungsabschlag hinreichend Rechnung getragen. Die im Einklang mit den maßgeblichen Bestimmungen stehende Abrechnung könne auch nicht rechtswidrig im Sinne eines Schadensersatzanspruchs sein. Jedenfalls aber könnte die Krankenkasse einen solchen Anspruch nicht im Wege der Aufrechnung gegen einen Vergütungsanspruch durchsetzen. Schließlich sei auch dem Sicherstellungsvertrag nach § 112 Absatz 2 Satz 1 SGB V keine Rechtsgrundlage für die erfolgte Rechnungskürzung zu entnehmen.

Mit ihrer Revision rügt die Krankenkasse die Verletzung von § 12 Absatz 1 und § 109 Absatz 4 Satz 2 SGB V sowie § 17c Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 KHG.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Altenburg, S 13 KR 868/18, 21.09.2018
Thüringer Landessozialgericht, L 6 KR 1278/18, 07.10.2021

Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 7/23.

Terminbericht

Der Senat hat die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Dem Universitätsklinikum stand zwar der streitige Vergütungsanspruch für die durchgeführte Behandlung der Versicherten zu. Darauf, ob die Verlegung der Versicherten in das wohnortnahe Krankenhaus medizinisch notwendig war, kommt es insoweit nicht an. In Betracht kommt aber ein Schadensersatzanspruch der Krankenkasse nach § 69 Absatz 1 Satz 3 SGB V in Verbindung mit § 280 Absatz 1 BGB wegen einer Verletzung der sich aus § 12 Absatz 1 und § 109 Absatz 4 Satz 2 SGB V sowie § 17c Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 Krankenhausfinanzierungsgesetz  ergebenden Pflichten des Universitätsklinikums.

Eine Verlegung führt trotz der damit verbundenen Vergütungsabschläge beider Krankenhäuser regelmäßig zu höheren Gesamtbehandlungskosten für die Krankenkasse. Deshalb bedarf es hierfür eines sachlichen Grundes, den das Krankenhaus im Streitfall darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen hat. Als sachliche Gründe für eine Verlegung kommen zwingende medizinische Gründe, zwingende Gründe in der Person des Versicherten sowie übergeordnete Gründe der Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen, patienten- und bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung mit Krankenhäusern (§ 1 Absatz 1 Krankenhausfinanzierungsgesetz) in Betracht. In einem mehrstufigen Krankenhausversorgungssystem kann die Verlegung aus einem Krankenhaus einer höheren Stufe (zum Beispiel Maximalversorger) in ein Krankenhaus einer niedrigeren Stufe (zum Beispiel Grundversorger) gerechtfertigt sein, wenn und soweit es zur Behandlung des Versicherten der besonderen Mittel des Krankenhauses der höheren Stufe nicht (mehr) bedarf und die dortigen Versorgungskapazitäten für andere Patienten benötigt werden. Keines gesonderten sachlichen Grundes für die Verlegung bedarf es dagegen, wenn und soweit hierdurch für die Krankenkasse keine Mehrkosten entstehen. Dies kommt insbesondere bei einer Rückverlegung in Betracht wegen der für das wiederaufnehmende Krankenhaus in § 3 Absatz 3 Fallpauschalenvereinbarung 2017 angeordneten Fallzusammenführung.

Ob danach vorliegend ein Schadensersatzanspruch der Krankenkasse gegen das Universitätsklinikum besteht, konnte der Senat auf der Grundlage der vom Landessozialgericht getroffenen Feststellungen nicht abschließend entscheiden. Das Landessozialgericht hat - von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen zu den Gründen der Verlegung und zu den hierdurch entstandenen Mehrkosten für die Krankenkasse getroffen. Sofern es von einer Rückverlegung in das wohnortnahe Krankenhaus ausgegangen ist, fehlen dazu tatsächliche Feststellungen.

Sollte ein Schadensersatzanspruch danach zu bejahen sein, hätte die Krankenkasse mit diesem wirksam gegen die (unstreitige) Vergütungsforderung des Universitätsklinikums aufgerechnet und wäre auch nicht zur Zahlung einer Aufwandspauschale verpflichtet. Ein sich aus der Prüfung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung ergebender Schadensersatzanspruch wäre der von § 275 Absatz 1c Satz 3 SGB V alte Fassung geforderten Minderung des Abrechnungsbetrages im Wege der Analogie gleichzustellen.

Die Berichte zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 7/23.

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