Bundessozialgericht

Verhandlung B 7 AS 7/22 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Kostenerstattungsanspruch - Aufenthalt - Frauenhaus

Verhandlungstermin 08.03.2023 10:30 Uhr

Terminvorschau

Jobcenter Osnabrück ./. Jobcenter Stadt Münster
Im Streit steht die Erstattung der Kosten des Klägers (im Weiteren Jobcenter Osnabrück) nach § 36a SGB II durch den Beklagten (im Weiteren Jobcenter Münster), die dem Jobcenter Osnabrück durch den Aufenthalt der Leistungsberechtigten und ihrer Kinder im dortigen Frauenhaus vom 22. Juni 2020 bis zum 14. Juli 2020 entstanden sind.

Die Leistungsberechtigte und ihre Kinder lebten in Münster. Sie suchten im April 2020 dort Schutz im Frauenhaus. Nachdem sie dieses verlassen hatten, hielten sie sich bis zum 22. Juni 2020 bei einer Freundin der Leistungsberechtigten in Osnabrück und anschließend bis zum 14. Juli 2022 im dortigen Frauenhaus auf.

Die vom Jobcenter Osnabrück geltend gemachte Kostenerstattung für den Aufenthalt der Leistungsberechtigten im Frauenhaus gegenüber dem Jobcenter Münster lehnte dieses ab.

Mit seiner Klage ist das Jobcenter Osnabrück vor dem Sozialgericht erfolgreich gewesen. Dieses hat das Jobcenter Münster zur Erstattung von 2048,27 Euro verurteilt. Zur Begründung hat das Sozialgericht unter anderem ausgeführt, die Leistungsberechtigte und ihre Kinder hätten ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich des Jobcenter Münster gehabt. Durch den Aufenthalt bei der Freundin sei kein gewöhnlicher Aufenthalt in Osnabrück begründet worden. Es habe lediglich ein für den Kostenerstattungsanspruch unschädlicher tatsächlicher Aufenthalt vorgelegen. Dieser sei nur vorübergehend gewesen, denn die Leistungsberechtigte habe erklärt, bei der Freundin nach dem Auszug aus dem Frauenhaus in Münster auf einen freien Platz im Frauenhaus in Osnabrück gewartet zu haben. Nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck des § 36a SGB II bleibe die Kostentragungsverpflichtung des kommunalen Trägers des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts bestehen, bis an einem anderen Ort ein gewöhnlicher Aufenthalt begründet werde.

Mit der Sprungrevision macht das beklagte Jobcenter Münster eine Verletzung des § 36a SGB II geltend.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Osnabrück, S 24 AS 22/21, 10.01.2022

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Terminbericht

Die Revision war im Sinne der Zurückverweisung zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung begründet. Auf Grundlage der Feststellungen des Sozialgerichts vermochte der Senat keine abschließende Entscheidung darüber zu treffen, ob der geltend gemachte Erstattungsanspruch besteht.

Der Erstattungsanspruch des Jobcenters Osnabrück gegen das Jobcenter Münster ist dem Grunde nach gegeben. Er folgt aus § 36a SGB II. Sucht eine Person in einem Frauenhaus Zuflucht, ist danach der kommunale Träger am bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort - hier Münster - verpflichtet, dem durch die Aufnahme im Frauenhaus zuständigen kommunalen Träger am Ort des Frauenhauses - hier Osnabrück - die Kosten für die Zeit des Aufenthaltes im Frauenhaus zu erstatten. Voraussetzung ist mithin, dass sich die nach dem SGB II leistungsberechtigte Frau - und hier ihre Kinder - vom bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort in ein Frauenhaus begibt und es durch diese Flucht zum Wechsel der örtlichen Zuständigkeit des kommunalen Trägers kommt. Dann ist erstattungsverpflichtet der kommunale Träger am Ort des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts außerhalb eines Frauenhauses (Herkunftskommune) und erstattungsberechtigt die Kommune, in deren örtlichem Zuständigkeitsbereich im Sinne des § 36 SGB II sich das Frauenhaus befindet (aufnehmende Kommune).

Die Leistungsberechtigten hatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 30 SGB I zunächst in Münster. Dem steht nicht entgegen, dass sie sich bereits dort in einem Frauenhaus aufgehalten hatten. Der weiteren Flucht in ein Frauenhaus nach Osnabrück folgt daher die Erstattungsverpflichtung des Trägers der Herkunftskommune - des Jobcenters Münster.

Zwar haben die Leistungsberechtigten durch den "Zwischenaufenthalt" bei einer Freundin in Osnabrück an diesem Ort ihren gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Denn nach § 30 Absatz 3 Satz 2 SGB I hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Entscheidend ist insoweit der prognostisch zukunftsoffene Aufenthalt in einer bestimmten politischen Gemeinde. Die Feststellung dessen erfordert eine tatrichterliche Prognoseentscheidung. Auch wenn das Sozialgericht zu einer anderen rechtlichen Bewertung gelangt ist, so kann seinen Feststellungen doch entnommen werden, dass der Aufenthalt der Leistungsberechtigten in Osnabrück - bereits während des Aufenthalts bei der Freundin - zukunftsoffen war und zwar in der Erwartung der kurzfristig erfolgenden Aufnahme im Osnabrücker Frauenhaus. Grundsätzlich endete damit die Erstattungsverpflichtung des Jobcenter Münster. Denn die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts außerhalb eines Frauenhauses durch Leistungsberechtigte beschließt an sich die "Fluchtkette" und damit die nachgehende Erstattungspflicht des Trägers der Herkunftskommune - hier des Jobcenters Münster.

In Anknüpfung an den Gesetzeszweck des "Schutzes des Einrichtungsortes" sowie die bisherige Rechtsprechung zum Sozialhilferecht ist jedoch in Fallkonstellationen wie der vorliegenden eine Ausnahme zu machen. Die "Fluchtkette" ist nicht als unterbrochen anzusehen, wenn der gewöhnliche Aufenthalt in der Absicht begründet worden ist, in das Frauenhaus vor Ort aufgenommen zu werden und nur eine vorübergehende Zeit außerhalb der Einrichtung bis zur Aufnahme zu überbrücken. So liegt der Fall hier.

Der Rechtsstreit war gleichwohl zurückzuverweisen. Der Senat konnte nicht überprüfen, ob die Höhe der Erstattungsforderung berechtigt ist. Die Vorinstanz hat hierzu keine Feststellungen getroffen, sondern nur ausgeführt, der Umfang der Forderung sei nicht streitig.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 6/23.

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