Bundessozialgericht

Verhandlung B 8 SO 12/22 R

Eingliederungshilfe - Leistungserbringung - Vergabeverfahren - Integrationshelfer

Verhandlungstermin 17.05.2023 12:00 Uhr

Terminvorschau

K. Diakonie eV, Caritasverband D eV ./. Stadt Düsseldorf
In diesem Verfahren steht in Streit, ob die beklagte Großstadt 2016 berechtigt war, als Träger der Eingliederungshilfe ein Vergabeverfahren für den Einsatz von Integrationshelfern an Schulen für Kinder mit Behinderungen im Rahmen eines Pool-Modells (mit circa 380 Integrationshelfern an circa 85 Schulen) durchzuführen. Sowohl im Schuljahr 2016/2017 als auch in den Schuljahren 2017/2018 bis 2020/2021 (durch Ausübung der Verlängerungsoption) haben die beiden Anbieter, die sich in diesem Verfahren durchgesetzt haben, die überwiegende Zahl der leistungsberechtigten Schülerinnen und Schüler, für welche die Beklagte zuständig ist, über das Pool-Modell betreut, bei dem innerhalb einer Schule ein festes Team von Schulbegleitungen eingerichtet wurde. Die Kläger, die auf Grundlage von Verträgen nach dem SGB XII im Stadtgebiet der Beklagten solche Leistungen für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen ebenfalls erbringen, haben sich am Vergabeverfahren nicht beteiligt. Sie haben mit ihrer Klage zunächst die Unterlassung der Durchführung des Vergabeverfahrens geltend gemacht und begehren nach Durchführung des Vergabeverfahrens die Feststellung, dass die Durchführung und die Zuschlagserteilung rechtswidrig waren. Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen, das Landessozialgericht hat dagegen die begehrte Feststellung ausgesprochen. Das Landessozialgericht hat zur Begründung des Anspruchs in der Sache ausgeführt, die Ausgestaltung der Leistungserbringung im Gesetz als sozialhilferechtliches Dreiecksverhältnis stehe der Schaffung eigener Strukturen zur Leistungserbringung durch den Träger der Leistungen entgegen und bewirke damit ein Verbot der Durchführung von Vergabeverfahren.

Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten. Sie macht in erster Linie geltend, die Klage sei unzulässig, weil die Kläger nicht am Bieterverfahren teilgenommen hätten und sie an der Teilnahme an der Versorgung auf Grundlage der bestehenden Verträge nicht gehindert seien. Die Beklagte als öffentlicher Auftraggeber habe die Leistungen nach den im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) umgesetzten europarechtlichen Vorgaben ausschreiben müssen. Das Vertragsrecht der Eingliederungshilfe könne demgegenüber nicht als Ausdruck eines vergaberechtsfreien Zulassungssystems begriffen werden.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Düsseldorf, S 42 SO 74/16, 20.03.2019
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, L 12 SO 227/19, 23.03.2022

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 17/23.

Terminbericht

Der Senat hat die Revision zurückgewiesen. Für die von den Klägern aufgeworfene Frage, ob aus den Regelungen der §§ 75 ff SGB XII ein öffentlich-rechtlicher Anspruch der Kläger auf Unterlassung eines Vergabeverfahrens mit dem Ziel der Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe in einem Pool-System folgt, ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet.

Die Kläger hatten ursprünglich einen Anspruch auf Unterlassung der Vergabe nach den §§ 97 ff des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen gegen die Beklagte, was nach der zulässigen Umstellung der Klage entsprechend festzustellen war. Der aus Europarecht abzuleitende und in den §§ 97 ff des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen umgesetzte Grundsatz, dass öffentliche Aufträge und Konzessionen im Wettbewerb und im Wege transparenter Verfahren zu vergeben sind, findet nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs keine Anwendung auf einfache Zulassungssysteme, in denen ‑ wie hier nach den §§ 75 ff SGB XII beziehungsweise seit dem 1.1.2018 den §§ 123 ff SGB IX ‑ keine Auswahlentscheidung des öffentlichen Auftraggebers erfolgt. Besteht kein vergaberechtlicher Zwang, die Leistungen auszuschreiben, war die Beklagte aber zur Vergabe von Leistungen auch nicht berechtigt. Die Vergabe mit dem Ziel, die Leistungen der Schulbegleitung auf die über den Zuschlag bestimmten Vertragspartner zu übertragen, widerspricht dem im SGB XII und im SGB IX vorgesehenen Versorgungssystem. Den Träger der Leistung trifft die Pflicht, den Leistungsanspruch der Berechtigten durch Abschluss vertraglicher Vereinbarungen nach §§ 75 ff SGBXII beziehungsweise §§ 123 ff SGBIX sicherzustellen und zwar im Sinne einer dem Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten entsprechenden Pluralität der Leistungserbringer. Einer vergaberechtlichen Kontrolle bedarf das eingliederungshilferechtliche Vertragsrecht nicht. Es ermöglicht einen transparenten und gleichberechtigten Wettbewerb. Dieses Konzept der Leistungserbringung durch Abschluss von Verträgen nach § 75 ff SGB XII schützt auch die daran teilnehmenden Dienste; denn nur so kann die Pluralität der Leistungserbringung überhaupt gewährleistet werden.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 17/23.

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