Bundessozialgericht

Verhandlung B 7 AS 11/22 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Leistungsausschluss - duales Studium - BAföG

Verhandlungstermin 21.06.2023 11:15 Uhr

Terminvorschau

T. W. ./. Jobcenter StädteRegion Aachen
Die Beteiligten streiten über den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Alg II von Mai 2019 bis Juli 2020 während eines dualen Studiums.

Nach einer ersten langjährigen Universitätsausbildung ohne Abschluss und abhängiger Beschäftigung nahm der Kläger im September 2018 ein Studium im ausbildungsintegrierten dualen Bachelorstudiengang “Angewandte Mathematik und Informatik“ auf. Zugleich begann er eine Ausbildung zum Mathematisch-technischen Softwareentwickler. Durch Ausbildungsvertrag verpflichtete er sich zur Immatrikulation in dem benannten Studiengang. Während der Dauer der Immatrikulation ruhte die Berufsschulpflicht. Die Ausbildungsvergütung betrug gestaffelt nach der Ausbildungsdauer um die 1000 Euro im Monat. Einen Antrag auf Berufsausbildungsbeihilfe lehnte die Bundesagentur für Arbeit ab. Dem Kläger stünden hinreichende Mittel zur Sicherung seines Lebensunterhalts zur Verfügung. Ein Antrag auf BAföG wurde vom zuständigen Studentenwerk unter Hinweis auf § 7 Absatz 3 BAföG ebenfalls abgelehnt. Eine Förderfähigkeit des Studium nach Fachrichtungswechsel komme danach nur bei unabweisbarem oder wichtigem Grund hierfür in Betracht. Ersteren vermochte es nicht zu erkennen. Ein wichtiger Grund stehe der Förderfähigkeit des Studiums nur dann nicht entgegen, wenn der Fachrichtungswechsel bis zum Beginn des vierten Fachsemesters erfolgt sei. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Auch das beklagte Jobcenter lehnte die Leistungsgewährung an den Kläger ab. Der Kläger sei nach § 7 Absatz 5 SGB II von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen. Er absolviere eine im Rahmen des BAföG dem Grunde nach förderfähige Ausbildung. BAföG werde nur aus individuellen Gründen nicht geleistet.

Das Sozialgericht hat die Klage gegen die Entscheidung des Beklagten abgewiesen und das Landessozialgericht hat die Berufung hiergegen zurückgewiesen. Es hat sich der Rechtsauffassung des Beklagten angeschlossen. Ergänzend führt es aus, ein dem Grunde nach förderfähiges Studium nach dem BAföG führe immer zum Leistungsausschluss im SGB II. Dies gelte selbst dann, wenn gegebenenfalls eine weitere Fördermöglichkeit, etwa durch Berufsausbildungsbeihilfe, dem Grunde nach bestehe und diese weitere Fördermöglichkeit nicht zum Leistungsausschluss im SGB II führe. An der Förderfähigkeit des Studiums nach dem BAföG bestehe im vorliegenden Fall kein Zweifel, insbesondere habe das Studium die Arbeitskraft des Klägers voll in Anspruch genommen. Insoweit erfülle das Studium auch die Voraussetzungen des § 2 Absatz 5 BAföG.

Mit der vom Landessozialgericht zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 7 Absatz 5 Satz 1 SGB II. Der Gesetzgeber habe 2016 den Leistungsausschluss für dem Grunde nach förderfähige betriebliche Ausbildungen abgeschafft. Diese Entscheidung sei zu beachten, auch wenn die Ausbildung zugleich dem Grunde nach als Studium nach dem BAföG förderfähig sei.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Aachen, S 7 AS 696/19, 03.05.2021
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, L 6 AS 947/21, 16.12.2021

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 24/23.

Terminbericht

Der Kläger vermochte mit seiner Revision nicht durchzudringen. Er hatte von Mai 2019 bis Juli 2020 keinen Anspruch auf Alg II.

Er war im streitigen Zeitraum gemäß § 7 Absatz 5 Satz 1 SGB II von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen. Danach haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG dem Grunde nach förderungsfähig ist, über die Leistungen nach § 27 SGB II hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Das duale Studium, das der Kläger durchlief, war dem Grunde nach förderungsfähig nach dem BAföG.

Sein Einwand, die Förderungsfähigkeit des Studiums sei deswegen nicht gegeben, weil das Studium seine Arbeitskraft nicht im Sinne des § 2 Absatz 5 Satz 1 BAföG voll in Anspruch genommen habe, greift nicht durch. Es handelt sich vorliegend bei der beruflichen Ausbildung um einen integrierten Bestandteil des Hochschulstudiums und nicht um eine daneben betriebene Tätigkeit.

Soweit der Kläger deswegen keine Leistungen nach dem BAföG erhielt, weil der (späte) Fachrichtungswechsel dem dortigen Leistungsanspruch entgegenstand, ändert dies nichts an der Förderungfähigkeit des Studiums im Rahmen des BAföG dem Grunde nach. Es waren hier allein individuelle Gründe für den Ausschluss von Ausbildungsförderungsleistungen nach dem BAföG ausschlaggebend.

Offen bleiben kann, ob die Ausbildung des Klägers nach anderen Vorschriften - etwa dem SGB III - dem Grunde nach hätte gefördert werden können. Auch dies berührt nicht den Leistungsausschluss nach § 7 Absatz 5 SGB II. Hierfür sprechen dessen Wortlaut, seine Entstehungsgeschichte sowie insbesondere der Regelungszusammenhang und der Sinn und Zweck der Vorschrift. Der Blick auf § 7 Absatz 6 SGB II zeigt, dass der Ausnahme vom Leistungsausschluss des § 7 Absatz 5 SGB II ein differenziertes Normkonzept zugrunde liegt. Auszubildende mit Fördermöglichkeiten nach dem BAföG und zugleich dem SGB III werden dort jedoch nicht aufgeführt. Bereits dies spricht dagegen, die Rückausnahme zu erweitern und zugleich den Leistungsausschluss nach § 7 Absatz 5 SGB II einschränkend auszulegen. Die Herausnahme von Auszubildenden in nach §§ 51, 57 und 58 SGB III geförderten Ausbildungen aus dem Leistungsausschluss durch das “Rechtsvereinfachungsgesetz“ vom 26. Juli 2016 (Bundestagsdrucksache 18/8041, Seite 30f.), sollte die Schnittstelle zwischen Grundsicherung für Arbeitsuchende und Ausbildungsförderung “entschärfen“. Sie können nun aufstockend Alg II (jetzt Bürgergeld) zu den Ausbildungsförderungsleistungen erhalten. Geblieben ist jedoch der Ausschluss von Ausbildungen, die im Rahmen des BAföG dem Grunde nach förderungsfähig sind - wie vorliegend.

Die Rückausnahme des § 7 Absatz 6 SGB II ist hier nicht einschlägig und Leistungen nach § 27 SGB II hat der Kläger nicht begehrt.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 24/23.

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