Bundessozialgericht

Verhandlung B 12 R 10/21 R

Versicherungs- und Beitragsrecht - ärztliche Privatpraxis - Augenärztin - Übernahme von Sprechstunden - Forderungsmanagement - Servicevertrag

Verhandlungstermin 12.12.2023 11:15 Uhr

Terminvorschau

a.-b.de GmbH i.L, ./. AOK - Deutsche Rentenversicherung Bund, beigeladen: 1. U. G., 2. Techniker Krankenkasse, 3. Techniker Krankenkasse Pflegeversicherung, 4. Deutsche Rentenversicherung Nord, 5. Bundesagentur für Arbeit
Die Klägerin betrieb eine Privatpraxis für Augenheilkunde. Die zu 1. beigeladene Fachärztin für Augenheilkunde übernahm vom 1. Dezember 2014 bis zum 31. Januar 2016 an ein bis zwei Tagen in der Woche Sprechstunden in einem Umfang von jeweils etwa fünf Stunden. Dem lag ein Vertrag zugrunde, wonach die Klägerin der Beigeladenen die personelle, räumliche und sächliche Infrastruktur einer augenärztlichen Praxis zur Verfügung zu stellen hatte. Die Beigeladene verpflichtete sich zu einem einheitlichen Auftreten nach außen unter Verwendung der von der Klägerin entwickelten Formulare. Mit dem Formular "Behandlungsauftrag" schloss sie Behandlungsverträge mit den Patienten und wirkte auf deren Einverständnis mit der Abrechnung durch die Klägerin hin. Die Beigeladene behandelte Patienten, die sie zur Erbringung von Privatleistungen in die Praxisräume der Klägerin bestellte. Im Rahmen verfügbarer Kapazitäten teilte ihr die Klägerin weitere Patienten zu. Die Klägerin zog die Honorarforderungen ein und zahlte von den tatsächlich vereinnahmten Beträgen 35 vom Hundert an die Beigeladene aus. Die Beigeladene meldete ihre Anwesenheitszeiten bei der Klägerin an und war nach Vereinbarung einer Sprechstundenzeit zur Anwesenheit in den Praxisräumen verpflichtet. Die Auswahl unter mehreren gleichzeitig arbeitsbereiten Ärzten oblag der Klägerin. Die Beigeladene hatte ihre Verhinderung mitzuteilen, um den Patienten durch das Sprechstundenpersonal absagen lassen zu können. Sie nutzte die in der Praxis vorgehaltenen Apparate und wurde durch das Sprechstundenpersonal der Klägerin unterstützt.

Die beklagte DRV Bund stellte die Versicherungspflicht der Beigeladenen in den Zweigen der Sozialversicherung aufgrund Beschäftigung ab 1. Dezember 2014 fest. Das Sozialgericht hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben und festgestellt, dass die Beigeladene nicht abhängig beschäftigt gewesen sei und keine Versicherungspflicht bestanden habe. Das Landessozialgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Es überwögen die für eine selbstständige Tätigkeit sprechenden Umstände. Der Vertrag begründe kein "Zeit, Dauer, Ort und Art" der Tätigkeitsausführung umfassendes Weisungsrecht der Klägerin. Die Beigeladene sei nicht in die Betriebsabläufe der Klägerin eingegliedert gewesen und habe auch ein relevantes "Unternehmerrisiko" getragen. Hierfür reiche Miete, Pacht oder Leasing von Betriebsmitteln aus, für die der Klägerin 65 vom Hundert der vereinnahmten Honorare zugestanden hätten.

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 7 Absatz 1 SGB IV. Das Landessozialgericht habe keine zutreffende Gesamtabwägung vorgenommen. Der Beigeladenen seien auch Patienten der Klägerin zugewiesen worden. Sie habe den jeweiligen Behandlungsvertrag als Erfüllungsgehilfin der Klägerin unterzeichnet. Außerdem sei sie der Werbe- und Marketingstrategie der Klägerin unterworfen gewesen und in die fremde Betriebsorganisation der Klägerin eingegliedert gewesen. Das Forderungsmanagement sei durch die Klägerin erfolgt. Der geschlossene Servicevertrag sei daher nicht als "Mietverhältnis" zu werten. Die Beigeladene habe auch kein nennenswertes Unternehmerrisiko getragen. Sie sei nicht einem relevanten Verlustrisiko ausgesetzt gewesen und habe keine bedeutsamen eigenen Betriebsmittel eingesetzt.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Bremen, S 31 R 107/16, 27.03.2019
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, L 12 BA 7/19, 27.05.2021

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 51/23.

Terminbericht

Soweit sich der Rechtsstreit nicht durch angenommenes Teil-Anerkenntnis erledigt hat, ist die Revision der beklagten DRV Bund erfolgreich gewesen. Hier überwogen die Anhaltspunkte für eine abhängige Beschäftigung der beigeladenen Augenärztin während ihrer jeweiligen Einzeleinsätze in den Räumlichkeiten der von der klagenden GmbH iL betriebenen Privatpraxis. 

Die Beigeladene trug zwar ein Einkommensausfallrisiko, weil ihre Einkünfte von den Honorarzahlungen der behandelten Patienten abhingen; sie trug aber kein Verlustrisiko. Mit der Überlassung von 65 vom Hundert der eingenommenen Entgelte an die Klägerin zahlte sie für die Nutzung der in deren Praxis vorgehaltenen Infrastruktur. Damit war ein Nutzungsentgelt aber nur für den Fall tatsächlich erzielter Einnahmen geschuldet. Dies barg für die Beigeladene nicht das typische Unternehmerrisiko, dass Kosten auch dann entstehen, wenn keine oder nur ungenügende Einnahmen erzielt werden. Ihre Einkommenssituation einschließlich der Gewinnchancen und Risiken ist daher eher mit Beschäftigten vergleichbar, deren Entgelt mit Erfolgsanteilen berechnet wird, als mit typischen Selbständigen. Anders als Abrechnungsstellen niedergelassener Ärzte trug die Klägerin 65 vom Hundert und damit im Verhältnis zur Beigeladenen den größeren Teil des Zahlungsausfallrisikos. 

Die beigeladene Augenärztin war auch in die Betriebsabläufe der Praxis der Klägerin eingegliedert. Sie war auf die Nutzung vorhandener räumlicher, personeller und sächlicher Infrastruktur angewiesen, ohne bei deren Auswahl, Kosten, Wartung oder Qualifikation eine Mitsprachemöglichkeit zu haben. Die Beigeladene arbeitete mit dem Praxispersonal arbeitsteilig zusammen, konnte ihm nur fachliche Weisung erteilen und hatte keine Arbeitgeberfunktion. Sie war an die von der Klägerin vorgegebenen Praxisöffnungszeiten gebunden. Klägerin und Beigeladene traten zudem durch die Verwendung von der Klägerin entwickelter Formulare gegenüber allen Patienten auch nach außen einheitlich auf. Das gesamte Patienten-Management erbrachte die Klägerin, die Beigeladene selbst vergab keine Termine und sagte sie auch nicht ab. Das Qualitätsmanagement wurde ebenfalls durch die Klägerin sichergestellt und unterlag nur deren Anforderungen.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 51/23.

Hinweis zur Verwendung von Cookies

Wir verwenden ausschließlich Sitzungs-Cookies, die für die einwandfreie Funktion unserer Webseite erforderlich sind. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir diese Cookies einsetzen. Unsere Informationen zum Datenschutz erhalten Sie über den Link Datenschutz.

OK