Bundessozialgericht

Verhandlung B 4 AS 18/22 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Bedarfe für Unterkunft und Heizung - Berlin - 2013 - Angemessenheitsprüfung - Zumutbarkeit - Umzug

Verhandlungstermin 28.02.2024 11:00 Uhr

Terminvorschau

1. M. B., 2. V. S. G. ./. Jobcenter Berlin Reinickendorf
Die Klägerinnen begehren höhere Leistungen für Bedarfe der Unterkunft und Heizung für Februar bis Juli 2013.

Die Klägerin zu 1 ist die Mutter der 2001 geborenen Klägerin zu 2. Sie bewohnten eine 64,10 Quadratmeter große Wohnung in Berlin. Eine mit Gas betriebene Heizungsanlage versorgte das gesamte Wohnhaus (Gesamtwohnfläche 296,05 Quadratmeter) mit Raumwärme und Warmwasser.

Der Beklagte forderte die Klägerin zu 1 im Dezember 2009 schriftlich auf, die Kosten auf 444 Euro monatliche Bruttowarmmiete zu reduzieren. Ab Juni 2010 erhielten die Klägerinnen entsprechend reduzierte Leistungen für Unterkunft und Heizung.

Die tatsächliche Miete betrug ab Juli 2012 679,01 Euro (341,01 Euro Nettokaltmiete, 124,00 Euro Vorauszahlung Betriebskosten, 214,00 Euro Vorauszahlung Heizkosten). Sie erhöhte sich zum Januar 2013 auf 687,35 Euro monatlich (349,35 Euro Nettokaltmiete, 124 Euro Vorauszahlung Betriebskosten, 214 Euro Vorauszahlung Heizkosten).

Die Klagen sind erfolglos geblieben. Auf die Berufungen der Klägerinnen hat das Landessozialgericht das Urteil des Sozialgerichts und die Bescheide des Beklagten geändert und diesen verurteilt, den Klägerinnen insgesamt weitere 61,70 Euro monatlich für Februar bis Juli 2013 zu gewähren. Im Übrigen hat es die Berufungen zurückgewiesen. Die Unterkunftskosten seien in voller Höhe, die Kosten für Heizung und Warmwasser jedoch nur in Höhe von 108,65 Euro statt von 214 Euro angemessen gewesen. Die Angemessenheitsgrenze der Raumwärmekosten sei dem bundesweiten Heizspiegel (Spalte „zu hoch“) zu entnehmen und liege bei 80 Euro. Für die Warmwassererzeugung seien Kosten bis zu 28,65 Euro monatlich angemessen. Dieser Grenzwert folge aus den durchschnittlichen Warmwasserkosten je Quadratmeter der Betriebskostenanlage zum Berliner Mietspiegel 2011 vervielfältigt mit der angemessenen Wohnungsgröße zuzüglich der Pauschalwerte nach § 21 Absatz 7 SGB II. Es sei 2009 ordnungsgemäß zur Kostensenkung aufgefordert worden und ein Umzug für die Klägerinnen nicht unzumutbar gewesen.

Mit ihren Revisionen rügen die Klägerinnen eine Verletzung von § 22 Absatz 1 Satz 1 und Satz 3 SGB II. Die Heizkosten seien vollständig zu übernehmen, weil sie nie konkret auf deren Unangemessenheit hingewiesen worden seien. Hinsichtlich der Zumutbarkeit eines Umzugs sei nicht nachvollziehbar, wie ein vom Landessozialgericht eingeholtes Sachverständigengutachten nach Aktenlage die Aussagekraft einer von ihnen vorgelegten ärztlichen Einschätzung nach persönlicher Untersuchung erschüttern könne. Eine unterbliebene zeitnahe Sachverhaltsaufklärung durch den Beklagten und das Sozialgericht dürfe nicht zu ihren Lasten gehen.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Berlin, S 107 AS 6489/13, 27.10.2016
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, L 32 AS 2845/16, 31.05.2022

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 5/24.

Terminbericht

Der Senat hat die Revisionen der Klägerinnen zurückgewiesen. Diese haben für Februar bis Juli 2013 keine höheren Ansprüche auf Leistungen für Bedarfe für Unterkunft und Heizung, als ihnen durch das Landessozialgericht zugesprochen worden sind.

Das Landessozialgericht hat die von den Klägerinnen entrichtete Bruttokaltmiete als noch angemessen angesehen. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Demgegenüber lagen die vom Landessozialgericht als angemessen angesehenen Kosten für Raumwärme und für Warmwasser über der Grenze des abstrakt Angemessenen. Hierdurch sind die Klägerinnen, die über das Urteil des Landessozialgerichts hinausgehende Leistungen begehren, jedoch nicht beschwert.

Für Raumwärme ergibt sich nach dem hier zugrunde zu legenden bundesweiten Heizspiegel 2012 bei einer angemessenen Wohnfläche von 60 Quadratmeter eine Angemessenheitsgrenze von 80 Euro monatlich. Diese ist um angemessene Bedarfe für die Erzeugung von Warmwasser zu ergänzen, weil Kosten der zentralen Warmwasserversorgung seit 2011 Teil der Bedarfe für Heizung sind und sich der bundesweite Heizspiegel 2012 ausschließlich auf die reine Raumwärme bezieht. Dabei ist für Warmwasser - anders als bei Raumwärme - von einem durchschnittlichen Verbrauch auszugehen.

Datensammlungen, aus denen sich unmittelbar die durchschnittlich aufgewendeten Kosten für die Warmwassererzeugung ablesen ließen, sind nicht vorhanden. Der Rückgriff auf die gesetzliche Sonderregelung ausschließlich für Kosten dezentraler Warmwassererzeugung in § 21 Absatz 7 SGB II scheidet aus. Eine Berechnung kann zudem nicht anhand der angemessenen Wohnungsgröße erfolgen, weil der Warmwasserverbrauch in erster Linie von der Personenzahl im Haushalt abhängt. Dies findet Niederschlag auch in der Heizkostenverordnung, welche eine Abrechnung allein nach Wohnfläche ausschließt.

Am plausibelsten erscheint die Anknüpfung an die vom Statistischen Bundesamt für die Umweltökonomische Gesamtrechnung ermittelten Höchstwerte zum Energieverbrauch für Warmwasser je Haushaltsmitglied, multipliziert mit den Preisen des jeweiligen Energieträgers, die durch das Statistische Bundesamt und die europäische Statistikbehörde veröffentlicht sind. Zu ergänzen ist zudem ein Zuschlag für verbrauchsunabhängige Nebenkosten. Die vom Landessozialgericht als abstrakt angemessen angesehenen Kosten und erst recht die den Klägerinnen tatsächlich entstandenen Kosten lagen deutlich darüber.

Der Beklagte führte das Kostensenkungsverfahren ordnungsgemäß durch. Es erfüllte die damit bezweckte Aufklärungs- und Warnfunktion. Hierfür genügte die Angabe der 2009 als angemessen erachteten Bruttowarmmiete in Höhe von 444 Euro. Einer Aufschlüsselung in angemessene Kosten der Nettokaltmiete, der Betriebskosten sowie der Heizung und des Warmwassers bedurfte es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht. Ebenso ist bereits entschieden, dass der Streit darüber, ob der vom Jobcenter mitgeteilte Grenzwert zutreffend ist, grundsätzlich erst im Rahmen der Klage auf höhere Leistungen zu klären ist.

Gründe, wonach den Klägerinnen eine Kostensenkung objektiv nicht möglich oder subjektiv unzumutbar gewesen wäre, liegen nach den revisionsrechtlich nicht wirksam mit Verfahrensrügen angegriffenen und deshalb den Senat bindenden Feststellungen des Landessozialgerichts nicht vor. Insoweit kann dahinstehen, ob die Klägerinnen allein die Obliegenheit traf, die Kosten für Raumwärme und Warmwasser durch eine Verhaltensänderung zu senken, oder auch die Obliegenheit der Kostensenkung durch einen Umzug.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 5/24.

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