Verhandlung B 9 V 1/23 R
Versorgungsrecht - Pflegeeltern - pauschale Pflegezulage
Verhandlungstermin
19.09.2024 11:30 Uhr
Terminvorschau
M. J. H. ./. Land Rheinland-Pfalz
Der Kläger begehrt die Auszahlung der ungekürzten pauschalen Pflegezulage in der Zeit von Juli 2018 bis August 2019 für die Pflege durch seine Pflegeeltern.
Der im August 2014 geborene Kläger erlitt im November 2014 ein Schütteltrauma durch einen tätlichen Angriff seines Vaters. Bei ihm sind seitdem unter anderem als Schädigungsfolgen Blindheit und eine Hirnschädigung anerkannt sowie ein Grad der Schädigungsfolgen von 100 festgestellt. Er ist in einer Pflegefamilie untergebracht. Die Pflegeeltern sind gemeinschaftlich zu seinen Vormündern bestellt. Neben anderen Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (unter anderem Grundrente und Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe VI) bezog der Kläger auch eine pauschale Pflegezulage der Stufe V.
Im Juni 2018 beantragte die Pflegemutter des Klägers die Übernahme der Kosten für dessen Nachtbetreuung durch zwei eigens angestellte Nachtpflegerinnen. Der Beklagte bewilligte die volle Übernahme der Kosten für die nächtliche Betreuung des Klägers im hier streitgegenständlichen Zeitraum. Die Leistungsgewährung erfolgte unter vollständiger Anrechnung auf die pauschale Pflegezulage.
Das Sozialgericht hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf eine ungekürzte pauschale Pflegezulage. Diese sei vollständig für die Kosten der Inanspruchnahme der Nachtpflege heranzuziehen gewesen. Die Voraussetzungen für ein teilweises oder vollständiges Verbleiben der pauschalen Pflegezulage lägen nicht vor. Dies komme nur in Betracht, wenn das beschädigte Kind mit einem Elternteil in häuslicher Gemeinschaft lebe. Pflegeeltern seien vom Elternbegriff jedoch nicht erfasst. Eine analoge Anwendung der einschlägigen Bestimmung sei mangels Regelungslücke ausgeschlossen. Auch erhielten Pflegeeltern im Gegensatz zu leiblichen Eltern Leistungen zum Unterhalt des Pflegekindes, der auch den Aufwand für die Pflege und Erziehung des Kindes umfasse. Überdies könnten Pflegeeltern einen Pflegevertrag mit dem geschädigten Kind abschließen. Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung liege nicht vor.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 35 Bundesversorgungsgesetz. Das Landessozialgericht habe den Begriff des Elternteils zu eng verstanden. Jedenfalls enthalte die Bestimmung bezogen auf Pflegeeltern eine Regelungslücke. Zudem sei fraglich, ob sich die von den Pflegeeltern geleistete Betreuung wegen des bezogenen Pflegegelds als "entgeltlich" erweise. Durch die vollständige Verrechnung der pauschalen Pflegezulage mit den Kosten der Nachtpflege erhielten sie für ihren pflegerischen Einsatz zugunsten des geschädigten Kindes in der übrigen Zeit keine finanzielle Anerkennung mehr. Pflegeeltern könnten auch nicht einfach einen Pflegevertrag mit dem geschädigten Kind abschließen. Dies stelle ein nichtiges Insichgeschäft dar. Deshalb sei die Bestellung eines Ergänzungspflegers notwendig. Auch sei der Grundrechtsschutz von Pflegeeltern nach Artikel 3 Absatz 1 und Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz nicht gewährleistet.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Koblenz, S 10 VG 36/19, 26.03.2021
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, L 4 VG 9/21, 18.10.2023
Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 34/24.
Terminbericht
Die Revision des Klägers ist erfolglos geblieben.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung der ungekürzten pauschalen Pflegezulage nach § 35 Absatz 2 Satz 2 und 3 Bundesversorgungsgesetz (so genanntes familiäres Privileg). Seine Pflegeeltern sind keine Eltern(teile) im Sinne der Anspruchsgrundlage. Diese begünstigt vielmehr außer Ehegatten und Lebenspartnern nur Eltern im Sinne des Abstammungsrechts nach § 1591 und § 1592 Bürgerliches Gesetzbuch sowie die ihnen rechtlich gleichgestellten Adoptiveltern, um die unentgeltliche Pflege durch solche nahen Angehörigen zu honorieren. Soweit der Gesetzgeber Pflegeeltern mit Eltern gleichstellen wollte, hat er dies ausdrücklich normiert, so etwa in § 49 Absatz 2 Nummer 2 Bundesversorgungsgesetz.
Für eine analoge Anwendung der Anspruchsnorm fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber hat das familiäre Privileg bewusst auf eine enge Gruppe naher Angehöriger des Geschädigten beschränkt. Die besondere Stellung sonstiger, dem Beschädigten nahestehender, aber nicht mit ihm verwandter Pflegepersonen hat der Gesetzgeber in § 35 Bundesversorgungsgesetz anderweitig berücksichtigt.
Verfassungsrechtliche Bedenken sind nicht ersichtlich. Die Anspruchsnorm verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz. Aus der andersgearteten Rechtsstellung von Eltern und Pflegeeltern ergeben sich hinreichend gewichtige Gründe für ihre unterschiedliche Behandlung bei der Gewährung des familiären Privilegs. Der Schutzbereich von Artikel 6 Grundgesetz ist für den Kläger und seine Pflegeeltern nicht eröffnet.
Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 34/24.