Bundessozialgericht

Verhandlung B 8 AY 1/22 R - ohne mündliche Verhandlung

Asylbewerberleistungsrecht - Grundleistungen - Bedarfsstufe - erwachsener Leistungsberechtigter - Gemeinschaftsunterkunft - menschenwürdiges Existenzminimums - Verfassungsmäßigkeit

Verhandlungstermin 19.09.2024 00:00 Uhr

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B.D.  ./.  Stadt Gelsenkirchen
Der 1982 geborene alleinstehende Kläger guineischer Staatsangehörigkeit reiste am 10. November 2018 nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Er war im Besitz einer Aufenthaltsgestattung, der Beklagten zugewiesen und lebte dort in einer Gemeinschaftsunterkunft. Die Beklagte bewilligte dem Kläger vom 1. Januar 2020 bis zum 9. Mai 2020 Grundleistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz in Höhe von monatlich 316 Euro. Dabei berücksichtigte sie die Bedarfsstufe 2 für einen erwachsenen Leistungsberechtigten, der in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht ist (§ 3a Absatz 1 Nummer 2 Buchst b, Absatz 2 Nummer 2 Buchst b Asylbewerberleistungsgesetz). Das Sozialgericht hat die Beklagte verpflichtet, dem Kläger Leistungen nach der Bedarfsstufe 1 zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, § 3a Absatz 1 Nummer 2 Buchst b Asylbewerberleistungsgesetz könne nur aufgrund verfassungskonformer Auslegung als mit dem Grundrecht auf Gewährung des menschenwürdigen Existenzminimums angesehen werden, wenn die Bedarfsstufe 2 als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal die tatsächliche und nachweisbare gemeinschaftliche Haushaltsführung des Leistungsberechtigten mit anderen in der Sammelunterkunft Untergebrachten voraussetze, wofür im vorliegenden Fall nichts ersichtlich sei.

Hiergegen richtet sich die Sprungrevision der Beklagten. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 2022 erkläre nur § 2 Absatz 1 Satz 4 Nummer 1 Asylbewerberleistungsgesetz für mit dem Grundgesetz unvereinbar. § 3a Absatz 1 Nummer 2 Buchst b, Absatz 2 Nummer 2 Buchst b Asylbewerberleistungsgesetz finde dagegen weiterhin Anwendung.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Gelsenkirchen, S 32 AY 30/20, 08.04.2021

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 37/24.

Terminbericht

Der Senat hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 3a Absatz 1 Nummer 2 Buchstabe b Asylbewerberleistungsgesetz und § 3a Absatz 2 Nummer 2 Buchstabe b Asylbewerberleistungsgesetz, soweit für eine in einer Gemeinschaftsunterkunft lebende alleinstehende erwachsene Person ein Bedarf lediglich in Höhe der Bedarfsstufe 2 anerkannt wird, mit Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip aus Artikel 20 Absatz 1 Grundgesetz vereinbar ist.

Nachdem das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 19. Oktober 2022 (1 BvL 3/21) für Analogleistungsberechtigte § 2 Absatz 1 Satz 4 Nummer 1 Asylbewerberleistungsgesetz für mit Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 1 Grundgesetz unvereinbar erklärt hat, soweit für eine alleinstehende erwachsene Person, die in einer Gemeinschaftsunterkunft lebt, ein Regelbedarf lediglich in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 anerkannt wird, verstößt zur Überzeugung des Senats auch die entsprechende Regelung für Grundleistungsberechtigte gegen die Verfassung. Einer einschränkenden verfassungskonformen Auslegung dahin, dass zusätzlich als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal im Einzelfall ein Zusammenleben im Sinne einer Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft vorliegen muss, sind die Vorschriften nach dem eindeutigen Wortlaut und dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht zugänglich. Es kann zwar nicht festgestellt werden, dass die danach in der Höhe bestimmten Geldleistungen bereits evident unzureichend sind. Die an das bloße Zusammenleben in einer Gemeinschaftsunterkunft geknüpfte Bemessung von Leistungen für den regelmäßigen Bedarf zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz in Höhe der Bedarfsstufe 2 ist aber derzeit nicht tragfähig begründbar.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 37/24 und dem Nachtrag zum Terminbericht 37/24.

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