Verhandlung B 5 R 8/24 R
Rentenversicherung - Beschäftigungszeit - Leiharbeitnehmer - knappschaftlicher Betrieb - knappschaftliche Arbeiten
Verhandlungstermin
19.12.2024 13:30 Uhr
Terminvorschau
C. L. ./. Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See, beigeladen: 1. NN GmbH, 2. NN AG
Streitig ist die Zuordnung von Beschäftigungszeiten zur knappschaftlichen Rentenversicherung von Januar 2007 bis Dezember 2010.
Der Kläger war in dieser Zeit bei der Beigeladenen zu 1 angestellt und wurde der Beigeladenen zu 2 als Leiharbeitnehmer zur Arbeitsleistung überlassen. Er wurde überwiegend als Seilfahrt-/ Fördermaschinist über Tage in der Wasserhaltung auf stillgelegten Bergwerken eingesetzt. Im Gegensatz zu der Beigeladenen zu 1 handelt es sich bei der Beigeladenen zu 2 um einen knappschaftlichen Betrieb. Die Beigeladene zu 1 führte für den Kläger zunächst Beiträge zur knappschaftlichen Rentenversicherung ab. Im Rahmen einer Betriebsprüfung gelangte die Beklagte zu dem Ergebnis, dass die Tätigkeit des Klägers der allgemeinen Rentenversicherung zuzuordnen sei. Dies stellte sie auch ihm gegenüber fest. In einem früheren sozialgerichtlichen Verfahren wurde der entsprechende Bescheid aus formalen Gründen rechtskräftig aufgehoben.
Während des damaligen Revisionsverfahrens (B 12 R 8/15 R) stellte die Beklagte wohl versehentlich die Zeiten vom 1. Januar 2007 bis zum 31. Dezember 2009 als Zeiten der knappschaftlichen Rentenversicherung gegenüber dem Kläger fest (Vormerkungsbescheid vom 15. Juli 2016). Nach Anhörung nahm die Beklagte den Bescheid vom 15. Juli 2016 letztlich mit Bescheid vom 14. Juli 2017 teilweise zurück und stellte für die streitbefangene Zeit Pflichtbeitragszeiten in der allgemeinen Rentenversicherung fest. Der Widerspruch blieb erfolglos.
Das Sozialgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landessozialgericht hat auf die Berufung der Beklagten das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Kläger sei im streitbefangenen Zeitraum nicht in einem knappschaftlichen Betrieb beschäftigt gewesen. Maßgeblich sei das sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis. Dies habe allein zu der Beigeladenen zu 1 bestanden. Der Kläger habe auch keine knappschaftlichen Tätigkeiten im Sinne des Gesetzes ausgeübt.
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung von §§ 133 Nummer 1 und Nummer 2, 134 Absatz 1 und 4 SGB VI. Er habe "in" einem knappschaftlichen Betrieb gearbeitet, denn er sei als entliehener Arbeitnehmer in den Betrieb der Beigeladenen zu 2 eingegliedert gewesen. Im Übrigen habe er auch überwiegend knappschaftliche Arbeiten verrichtet. Die Tätigkeit als Fördermaschinist sei in entsprechender Anwendung des Tätigkeitskatalogs in § 134 Absatz 4 SGB VI erfasst.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Gelsenkirchen, S 18 R 530/18, 25.08.2020
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, L 18 R 761/20, 01.02.2022
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Terminbericht
Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg. Zutreffend hat das Landessozialgericht das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Kläger war von Januar 2007 bis Dezember 2010 nicht in der knappschaftlichen Rentenversicherung versichert.
Die Voraussetzungen des § 133 Nummer 1 SGB VI sind nicht erfüllt. Der Kläger war im streitbefangenen Zeitraum bei der Beigeladenen zu 1 und damit in keinem knappschaftlichen Betrieb beschäftigt. Den Begriff der Beschäftigung bestimmt § 7 Absatz 1 Satz 1 SGB IV für sämtliche Bereiche der Sozialversicherung. Im Fall einer erlaubten Arbeitnehmerüberlassung wird die Tätigkeit des Leiharbeitnehmers zwar unter Eingliederung in die Arbeitsorganisation und Bindung an die Weisungen des Entleihers ausgeübt. Es besteht aber kein Beschäftigungsverhältnis zu dem Entleiher.
Dass auch bei Leiharbeit auf das Beschäftigungsverhältnis abzustellen ist, folgt aus der Auslegung des § 133 Nummer 1 SGB VI. Insbesondere historische Erwägungen unter Einbeziehung der Systematik und des Grundzwecks der knappschaftlichen Rentenversicherung sprechen für das hier vertretene Verständnis. Bereits unter der Geltung des Reichsknappschaftsgesetzes wurde es als unbefriedigend empfunden, dass Personen, die vorwiegend in knappschaftlichen Betrieben arbeiteten, ohne Arbeitnehmer des jeweiligen Bergwerksunternehmens zu sein, nicht knappschaftlich versichert waren. Deshalb wurden im Rahmen einer Verordnung neue Regelungen getroffen und die dort in einem Katalog aufgeführten Arbeiten von der knappschaftlichen Versicherung erfasst. Diese Vorschriften galten unverändert fort und wurden 2008 in § 134 Absatz 4 SGB VI überführt. Damit wird deutlich, dass der Gesetzgeber ein Regelungsbedürfnis für Arbeiten sah, die von nicht dem knappschaftlichen Betrieb angehörigen Arbeitnehmern verrichtet werden, aber räumlich und betrieblich mit diesem zusammenhängen. Dafür hätte es bei einem weiten Verständnis der damals bereits in ihrem heutigen Wortlaut existierenden Vorschrift des § 133 Nummer 1 SGB VI keine Notwendigkeit gegeben.
Ein anderes Verständnis folgt auch nicht aus dem Gleichstellungsgrundsatz des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes oder der Richtlinie 2008/104/EG über Leiharbeit. Die Versicherung in der knappschaftlichen Rentenversicherung ist schon kein Umstand, den ein Verleiher einem Leiharbeitnehmer gewähren könnte. Als Teil der Sozialversicherung ist die knappschaftliche Rentenversicherung eine kraft Gesetzes bestehende Pflichtversicherung. Der davon erfasste Personenkreis wird ausschließlich und abschließend durch Gesetz bestimmt.
Auch die Voraussetzungen der §§ 133 Nummer 2, 134 Absatz 4 SGB VI sind nicht erfüllt. Der Kläger verrichtete im streitbefangenen Zeitraum nicht ausschließlich oder überwiegend knappschaftliche Arbeiten im Sinne des Gesetzes. Dazu gehören die in § 134 Absatz 4 Nummer 1 bis 11 SGB VI katalogweise und erschöpfend aufgeführten Arbeiten, wenn sie räumlich und betrieblich mit einem Bergwerksbetrieb zusammenhängen, aber von einem anderen Unternehmer ausgeführt werden. Ausgehend von den für den Senat bindend festgestellten Aufgaben des Klägers kann die von ihm ausgeübte Tätigkeit des Fördermaschinisten unter keine der im Gesetz genannten Katalogarbeiten gefasst werden. Auch eine analoge Anwendung hinsichtlich der in § 134 Absatz 4 SGB VI genannten Tätigkeiten kommt nicht in Betracht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind der richterlichen Rechtsfortbildung verfassungsrechtliche Schranken gesetzt. Anhaltspunkte für eine planwidrige Regelungslücke sind hier nicht ersichtlich. Ob im Fall einer erlaubten Arbeitnehmerüberlassung die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des § 134 Absatz 4 SGB VI erfüllt werden, bedarf keiner Entscheidung.
Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 49/24.