Verhandlung B 11 AL 5/24 R
Arbeitsförderungsrecht - Kurzarbeitergeld - betriebliche Voraussetzungen - Leistungsanspruch - Betrieb - Betriebsabteilung - Außendienstmitarbeiter in Deutschland - Betriebssitz in Italien
Verhandlungstermin
12.03.2025 13:00 Uhr
Terminvorschau
Speroni S.p.A. ./. Bundesagentur für Arbeit
Die Klägerin, eine Aktiengesellschaft italienischen Rechts mit Sitz in Italien, die Maschinen zur Werkzeugvermessung herstellt, begehrt von der beklagten Bundesagentur für Arbeit Kurzarbeitergeld für April bis Juni 2020 für den einzigen von ihr in Deutschland beschäftigten Mitarbeiter.
Der Mitarbeiter betreute im Wesentlichen die deutschen Kunden des Unternehmens. Er arbeitete je zur Hälfte von seiner Privatwohnung aus und in der Kundenbetreuung vor Ort. Arbeitsmaterialien stellte das Unternehmen und die Lohnabrechnung erfolgte über eine Rechtsanwalts- und Steuerberatungskanzlei in Deutschland. Nach einer Vereinbarung des Unternehmens mit dem Arbeitnehmer über Kurzarbeit Mitte April 2020 wurde diese der Arbeitsagentur angezeigt. Letztere verneinte das Vorliegen der betrieblichen Voraussetzungen für Kurzarbeitergeld. Die Voraussetzungen lägen nicht vor, da es an einem Betrieb im Geltungsbereich des SGB III mangele. Den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Kurzarbeitergeld für die Monate Mai und Juni 2020 lehnte die Arbeitsagentur ebenfalls ab - das Widerspruchsverfahren insoweit ruht.
Vor dem Sozialgericht hat die Klägerin erfolglos eine Verpflichtung der Beklagten zum Erlass einer positiven Anerkennungsentscheidung begehrt. Das Landessozialgericht hat die Beklagte verurteilt, im streitigen Zeitraum Kurzarbeitergeld und Beiträge zur Sozialversicherung für den Mitarbeiter nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen. Insbesondere sei ein inländischer Betrieb vorhanden, der spezifischen Risiken für die Produktion oder Dienstleistungen in Deutschland ausgesetzt und auf Dauer angelegt sei.
Mit ihrer vom Landessozialgericht zugelassenen Revision gegen diese Entscheidung rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 95 ff SGB III.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Duisburg, S 16 AL 361/20, 13.05.2022
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, L 9 AL 134/22, 07.12.2023
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Terminbericht
Die Beklagte ist verpflichtet, das Vorliegen eines erheblichen Arbeitsausfalls und der betrieblichen Voraussetzungen bei der Klägerin im allein noch streitigen Monat April 2020 durch einen sogenannten Anerkennungsbescheid im Sinne des § 99 Absatz 3 SGB III festzustellen. Aufgrund der Beschränkung des Streitgegenstands im Revisionsverfahren bedurfte es keiner Entscheidung des Senats über einen Anspruch auf Kurzarbeitergeld für den bei der Klägerin beschäftigten Arbeitnehmer und die Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen für den Zeitraum von April bis Juni 2020.
Die Beklagte hat die vorbenannte Anerkennung rechtswidrig abgelehnt. Die betrieblichen Voraussetzungen nach § 95 Satz 1 Nummer 2 SGB III in Verbindung mit § 97 SGB III waren im April 2020 gegeben. § 97 SGB III verlangt, dass in dem Betrieb mindestens … ein Arbeitnehmer beschäftigt sein muss. Betrieb im Sinne der Vorschriften über das Kurzarbeitergeld ist auch eine Betriebsabteilung. Ausgangspunkt sind hier die Tätigkeiten des bei der Klägerin beschäftigten einzigen Arbeitnehmers in Deutschland. Sie wurden in einer vom Betrieb abgrenzbaren Betriebsabteilung erbracht.
Wie der Senat am heutigen Tag in der Sache B 11 AL 1/24 R bereits befunden hat, ist von einer Betriebsabteilung auszugehen, wenn es sich um eine im Grundsatz personell und organisatorisch vom Gesamtbetrieb abgegrenzte Einheit handelt, die in der Regel einen eigenen Betriebszweck verfolgt und mit eigenen Betriebsmitteln ausgestattet ist. Eine solche liegt hier vor.
Eine personell und organisatorisch vom Gesamtbetrieb in Italien abgegrenzte Einheit liegt vor, denn der Arbeitnehmer der Klägerin ist als deren einziger Mitarbeiter in Deutschland für die Betreuung der dortigen Kunden zuständig. Die Einheit ist zudem räumlich vom Betrieb in Italien abgegrenzt, was eine gegenüber dem Gesamtbetrieb eigenständige Organisation unterstreicht. Unschädlich ist insoweit, dass die Arbeiten nach den Feststellungen des Landessozialgerichts zum Teil in der Privatwohnung des Arbeitnehmers durchgeführt werden. Sie ist hier Teil der eigenständigen Organisation und Ausgangspunkt für die Erledigung der weiteren Tätigkeiten. Der eigene Betriebszweck liegt in der Betreuung von Kunden und der Wartung beziehungsweise der Reparatur der von der Klägerin gelieferten Geräte in der Bundesrepublik. Damit obliegt dem Arbeitnehmer eine Tätigkeit, die sich von den Aufgaben des Produktionsbetriebs in Italien inhaltlich unterscheidet. Mit eigenen Betriebsmitteln in Gestalt eines Computers, Fahrzeugs und von Werkzeugen ist der Arbeitnehmer ebenfalls ausgestattet.
Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des Landessozialgerichts lag auch ein erheblicher Arbeitsausfall im Sinne des § 96 SGB III in der zuvor umschriebenen Betriebsabteilung vor und ist eine ordnungsgemäße Anzeige des Arbeitsausfalls gegenüber der Beklagten erfolgt.
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