Verhandlung B 2 U 3/23 R
Unfallversicherung - Vorsitzender - gemeinnütziger Pfadfinderverein - Ehrenamtlichkeit - Wohlfahrtspflege
Verhandlungstermin
25.03.2025 12:00 Uhr
Terminvorschau
H. S. ./. Verwaltungs-Berufsgenossenschaft
Der Kläger ist Vorsitzender eines eingetragenen gemeinnützigen Pfadfindervereins, für dessen Unternehmen die Beklagte ihre Zuständigkeit rückwirkend festgestellt hat. Der Verein bezweckt, "zur positiven Entwicklung junger Menschen beizutragen", und verfolgt gemeinnützige, jugendpflegerische Ziele vorwiegend durch wöchentliche Gruppenstunden, mehrmalige jährliche Pfadfindertouren und -fahrten, die Fortbildung von Personen in Leitungspositionen sowie durch die Instandhaltung vereinseigener oder gemieteter Gegenstände.
Am 9. Februar 2019 rutschte der Kläger auf Glatteis aus, als er den Pfadfinderbus verließ, um Zelte zur Dichtheitsprüfung und Reparatur abzuladen. Die Beklagte lehnte es ab, ihm Entschädigungsleistungen zu gewähren, weil er bei der unversicherten Erfüllung von Pflichten aus der Vereinsmitgliedschaft verunglückt sei und sich als ehrenamtlich tätiger Vereinsvorsitzender nicht freiwillig versichert habe. Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen, das Landessozialgericht die Berufung zurückgewiesen: Der Kläger sei weder aufgrund einer Tätigkeit in der Wohlfahrtspflege kraft Gesetzes oder kraft Satzung pflichtversichert noch sonst gesetzlich unfallversichert gewesen.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 2 Absatz 1 Nummer 9 SGB VII und § 75 Absatz 2 Alternative 2 SGG. Wohlfahrtspflege erfasse nicht nur die Betreuung besonders schutzbedürftiger Kinder und Jugendlicher, sondern auch die allgemeine pädagogische Kinder- und Jugendarbeit. Hinsichtlich der Gruppenstunden bestehe objektiv kein Unterschied zur Kindertagespflege. Für die Ferienfreizeiten sei das Zeltmaterial unerlässlich, so dass dessen Sichtung und Reparatur eng mit dem Vereinszweck der Jugendarbeit und der Erziehung junger Menschen zusammenhänge. Bei einer Tätigkeit in der Wohlfahrtspflege sei zudem die als leistungspflichtig in Betracht kommende Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege notwendig beizuladen.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Koblenz, S 15 U 259/19, 20.04.2021
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, L 3 U 112/21, 16.08.2022
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Terminbericht
Die Revision des Klägers war im Sinne der Zurückverweisung erfolgreich. Der Kläger gehörte zum versicherten Personenkreis. Die Feststellungen zum Gesundheitsschaden genügen jedoch nicht für eine abschließende Entscheidung darüber, ob das Ereignis vom 9. Februar 2019 ein Arbeitsunfall gewesen ist.
Als Vorsitzender des Pfadfindervereins gehörte der Kläger zu den kraft Gesetzes versicherten Personen, “die selbständig oder unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig sind" (§ 2 Absatz 1 Nummer 9 SGB VII). Die Wohlfahrtspflege erfasst im Anschluss an die frühere Jugendwohlfahrt auch Tätigkeiten der allgemeinen Jugendhilfe, die am Wohl von Kindern und Jugendlichen orientiert ist und darauf abzielt, junge Menschen in ihrer persönlichen, sozialen und gesellschaftlichen Entwicklung zu fördern (§ 1 Absatz 3 SGB VIII). Zur Konkretisierung der allgemeinen Wohlfahrtspflege sind deshalb die Bestimmungen des SGB VIII über die dort geregelte Kinder- und Jugendhilfe ergänzend heranzuziehen, insbesondere über die Anerkennung als Träger der freien Jugendhilfe (§ 75 SGB VIII). Das Engagement des Klägers für den Pfadfinderverein ist nach seinem Gesamtbild auch dem Typus der ehrenamtlichen Tätigkeit zuzuordnen, die unentgeltlich ausgeübt wird und immateriellen Werten, ideellen Zwecken oder dem Gemeinwohl dient. Der versicherten Tätigkeit als ehrenamtlich Tätiger in der Wohlfahrtspflege ist die konkret-individuelle Verrichtung zur Zeit des Ereignisses anhand der objektivierten Handlungstendenz wertend zurechnen.
Der Senat kann jedoch nicht abschließend beurteilen, ob der Kläger einen Gesundheitserstschaden erlitten hat. Eine Sehnenteilruptur im rechten Oberschenkel wurde erst festgestellt, nachdem der Kläger bei einer privaten Umbaumaßnahme am 9. März 2019 einen Riss im rechten Oberschenkel verspürt hatte. Nähere Ermittlungen zu den Ursachenzusammenhängen hat das Landessozialgericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung folgerichtig nicht durchgeführt. Dies wird es im wiedereröffneten Berufungsverfahren nachzuholen haben. Soweit der Kläger die unterbliebene Beiladung der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege geltend macht, greift diese Verfahrensrüge nicht durch. Denn die Beklagte hat ihre Zuständigkeit durch schriftlichen Bescheid gegenüber dem Pfadfinderverein festgestellt.
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