Verhandlung B 1 KR 10/24 R
Krankenversicherung - Krankenhausbehandlung - Kostenerstattung - Versicherungsverhältnis - Beweislast
Verhandlungstermin
02.04.2025 11:20 Uhr
Terminvorschau
Dr. J. D. N. ./. AOK Die Gesundheitskasse für Niedersachsen
beigeladen: Debeka Krankenversicherungsverein a.G.
Der Kläger begehrt Kostenerstattung in Höhe von 26 584,92 Euro für von seiner am 29. Mai 2014 verstorbenen Mutter in Anspruch genommene Krankenbehandlungen.
Die 1927 im Inland geborene und hier aufgewachsene Verstorbene war deutsche Staatsangehörige. Nach Schneiderlehre, Universitätsstudium in Deutschland und Österreich sowie Studienreferendariat in Deutschland wanderte sie zwischen 1963 und 1964 nach Südafrika aus, wo sie heiratete und fortan lebte. Am 13. Januar 2014 reiste die Verstorbene nach Deutschland ein und hielt sich in der Wohnung ihres in Südafrika geborenen und 1994 nach Deutschland zurückgekehrten Sohnes in Essen auf. Sie litt unter Morbus Raynaud mit schwerster peripherer arterieller Verschlusskrankheit und wurde deswegen nach ihrer Einreise nach Deutschland vom 22. Januar 2014 an bis zu ihrem Tod am 29. Mai 2014 mehrfach stationär behandelt. Bereits am Tag der Einreise beantragte die Verstorbene bei der Techniker Krankenkasse (TK) die Aufnahme in die gesetzliche Krankenversicherung. Die TK lehnte den Antrag der Verstorbenen auf Aufnahme bestandskräftig ab. Auch das später beigeladene private Krankenversicherungsunternehmen lehnte noch zu Lebzeiten der Verstorbenen ab, mit ihr eine Krankheitskostenversicherung im Basistarif abzuschließen. Die Stadt Essen bewilligte der Verstorbenen mit Bescheid vom 10. März 2014 laufende Leistungen nach dem SGB XII für die Zeit vom 1. Februar 2014 bis 31. Mai 2015, stellte die Leistung mit Bescheid vom 23. Mai 2014 aber ab dem 1. Juni 2014 wegen verwertbaren Vermögens der Verstorbenen ein.
Der Kläger und seine Schwester beantragten erfolglos bei der beklagten Krankenkasse, ihnen 39 037,24 Euro Behandlungskosten zu erstatten (Schreiben vom 28. Juli 2016). Sie verwiesen darauf, dass die Verstorbene aufgrund der Schneiderlehre Mitglied bei der AOK Hannoversch-Münden vom 1. Mai 1949 bis 8. Juni 1950 und deshalb bei der Beklagten als Rechtsnachfolgerin der AOK Hannoversch-Münden in der Auffangversicherung nach § 5 Absatz 1 Nummer 13 SGB V kraft Gesetzes versichert gewesen sei. Dem sind die Vorinstanzen nicht gefolgt. Das Sozialgericht hat die Klagen des Klägers und seiner Schwester abgewiesen. Das Landessozialgericht hat nach Rücknahme der Klage der Schwester die Berufung des Klägers, mit der er zuletzt die Zahlung von 26 584,92 Euro begehrt hat, zurückgewiesen: Zwar sei der Kläger für die Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs nach § 56 SGB I aktivlegitimiert. Der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Absatz 3 SGB V scheitere aber bereits daran, dass kein Versicherungsverhältnis zwischen der Verstorbenen und der Beklagten gemäß § 5 Absatz 1 Nummer 13 SGB V festgestellt werden könne. Zwar habe das letzte nachweisbare Krankenversicherungsverhältnis zur AOK Hannoversch-Münden bestanden. Es sei aber nicht nachgewiesen, dass die Verstorbene “zuletzt“ dort versichert gewesen sei. Nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast gehe dies zulasten des Klägers.
Der Kläger rügt mit seiner Revision die Verletzung von § 5 Absatz 1 Nummer 13 SGB V. Die vom Landessozialgericht angenommene abgestufte Beweislastverteilung widerspreche dem klaren Ziel des Gesetzgebers, alle Einwohner lückenlos der Versicherungspflicht zu unterwerfen und sie hierzu entweder der privaten oder der gesetzlichen Krankenversicherung zuzuordnen.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Duisburg, S 46 KR 182/17, 24.07.2020
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, L 10 KR 610/20, 29.03.2023
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Terminbericht
Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg. Der im Wege der Rechtsnachfolge auf den allein in Betracht kommenden § 13 Absatz 3 SGB V gestützte Anspruch scheitert jedenfalls daran, dass die am 29. Mai 2014 verstorbene Mutter des Klägers nach ihrer Anfang 2014 erfolgten Rückkehr in den Geltungsbereich des SGB V kein Mitglied der Beklagten wurde. Es ist nicht mehr aufklärbar, ob die Verstorbene die Voraussetzungen des hier allein in Betracht kommenden Pflichtversicherungsverhältnisses gemäß § 5 Absatz 1 Nummer 13 Buchstabe a SGB V während ihres Aufenthalts in Deutschland im Jahr 2014 erfüllte. Die hiernach erforderliche Feststellung, dass die Verstorbene in der Zeit nach dem 8. Juni 1950 und vor ihrer dauerhaften Wohnsitzverlagerung nach Südafrika im Jahr 1964 zuletzt bei der Beklagten versichert war, kann weder getroffen noch verworfen werden. Zu diesem Ergebnis ist das Landessozialgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise gelangt. Diese Nichtfeststellbarkeit geht nach den Regeln der objektiven Beweislastverteilung zulasten der Verstorbenen und damit auch zulasten des Klägers. Hierbei ist im Fall der Nichterweislichkeit von negative Tatbestandsmerkmale ausfüllenden Tatsachen zu prüfen, ob sich jeweils aus Regelungssystem und Regelungszweck bereichsspezifisch generell oder unter näher zu bestimmenden besonderen Voraussetzungen eine von den allgemeinen Grundsätzen abweichende Beweislastverteilung ergeben kann. Der Umstand, dass etwas nicht ist, lässt sich in manchen Fällen nicht mit der gleichen Sicherheit feststellen, wie der Umstand, dass etwas ist. Insbesondere in Fällen, in denen es um Geschehnisse geht, die in einem längeren Zeitraum in der Vergangenheit nicht eingetreten sein sollen, ist maßgeblich, welche Umstände die Überzeugungsbildung des Gerichts verhindert haben. Stammen diese durch die Sachverhaltsermittlung des Gerichts zutage geförderten Umstände aus der Verantwortungssphäre des Anspruchstellers, verbleibt es - wie hier - bei seiner Beweislast. Die (Versicherungs-) Biographie der Verstorbenen ist der Sphäre des Klägers als ihrem Rechtsnachfolger zuzuordnen. Diesem Ergebnis widerspricht auch nicht der Gesetzeszweck, für alle Einwohner ohne Absicherung im Krankheitsfall einen Versicherungsschutz sicherzustellen. Der Gesetzgeber hat gleichwohl keine voraussetzungslose Zuordnung zu einer Pflichtversicherung im Sinn einer Letzt-Auffangversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung geregelt.
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