Bundessozialgericht

Verhandlung B 1 KR 25/23 R

Krankenversicherung - Gemeinsamer Bundesausschuss - Notfallstufen-Regelungen - Krankenhäuser

Verhandlungstermin 02.04.2025 13:30 Uhr

Terminvorschau

S. Augenklinik H. C. T. ./. Gemeinsamer Bundesausschuss
Die Klägerin wendet sich gegen die Wirksamkeit von Regelungen des Gemeinsamen Bundesausschusses zu einem gestuften System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern gemäß § 136c Absatz 4 SGB V (Notfallstufen-Regelungen).

Der Gemeinsame Bundesausschuss definiert in den genannten Regelungen Anforderungen zum Erreichen von drei Stufen der Notfallversorgung. Diese Stufen unterscheiden die Notfallversorgung hinsichtlich der Art und des Umfangs der verschiedenen Notfallvorhaltungen in die Basisnotfallversorgung (Stufe 1), die erweiterte Notfallversorgung (Stufe 2) und die umfassende Notfallversorgung (Stufe 3). Darüber hinaus kann die Versorgung besonderer stationärer Notfälle auch strukturiert durch Krankenhäuser erfolgen, die zwar nicht die Anforderungen der drei Stufen, aber die besonderen Vorgaben eines Moduls in Abschnitt VI (spezielle Notfallversorgung) erfüllen. Zu den Anforderungen an die Basisnotfallversorgung legen die Regelungen unter anderem fest, dass die betreffenden Krankenhäuser mindestens über die Fachabteilungen Chirurgie oder Unfallchirurgie und Innere Medizin verfügen müssen. Sofern ein Krankenhaus keiner der beschriebenen Stufen zuzuordnen ist und keine der Voraussetzungen eines Moduls erfüllt, nimmt es gemäß § 3 Absatz 2 Satz 1 der Notfallstufen-Regelungen nicht an dem gestuften System von Notfallstrukturen teil. Nach § 1 Absatz 1 Satz 3 der Notfallstufen-Regelungen sind bei einer Nichtbeteiligung an der Notfallversorgung verbindliche Abschläge zu erheben.

Auf der Grundlage dieses Stufensystems haben die Vertragsparteien auf Bundesebene die in § 9 Absatz 1 Nummer 3, Absatz 1a Nummer 5 Krankenhausentgeltgesetz vorgesehene "Notfall-stufenvergütungsvereinbarung" geschlossen. Diese sehen bei nicht an der Notfallversorgung teilnehmenden Krankenhausstandorten für jeden vollstationären Behandlungsfall einen Rechnungsabschlag in Höhe von 60 Euro vor.

Die Klägerin ist Trägerin eines zugelassenen Fachkrankenhauses für Augenheilkunde, das als reines Belegkrankenhaus geführt wird. Es erfüllt nicht die Anforderungen an die Basisnotfallversorgung. Das Landessozialgericht hat deren Klage auf Feststellung der Nichtigkeit der Abschnitte I. bis III. des Beschlusses des Beklagten zu den Notfallstufen-Regelungen abgewiesen. Die Normenfeststellungsklage sei zulässig, aber unbegründet. Die Notfallstufen-Regelungen begegneten keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Nach gesicherter höchstrichterlicher Rechtsprechung könne der Gesetzgeber den Beklagten zur Normsetzung ermächtigen. Die Ermächtigung nach § 136c Absatz 4 SGB V sei auch hinreichend bestimmt. Der Beklagte habe formell ordnungsgemäß unter Beachtung seines normativen Gestaltungsspielraums ermächtigungskonform die Notfallstufen rechtmäßig geregelt.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des Artikels 20 Absatz 2 Grundgesetz, die dadurch bedingte Verfassungswidrigkeit des § 136c Absatz 4 SGB V sowie dessen einfachrechtliche Verletzung durch den Beschluss des Beklagten. Weder verfüge der Beklagte über eine in Einklang mit dem Grundgesetz stehende Normsetzungskompetenz noch habe er den in der Vorschrift enthaltenen Normsetzungsauftrag - bei dessen unterstellter Verfassungsmäßigkeit - im Falle von als Belegkrankenhäusern geführten Fachkliniken rechtmäßig umgesetzt. Die Klägerin erhebt ferner Verfahrensrügen.

Verfahrensgang:
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, L 9 KR 186/19 KL, 22.06.2022

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Terminbericht

Die Revision der Klägerin hatte teilweise Erfolg. Der Senat hat unter Abänderung des Urteils des Landessozialgerichts festgestellt, dass § 3 Absatz 2 Satz 1 der “Regelungen des Gemeinsamen Bundesausschusses zu einem gestuften System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern gemäß § 136c Absatz 4 SGB V“ (Notfallstufen-Regelungen) nichtig ist.

Die zulässige Normenfeststellungsklage ist unbegründet, soweit sie sich gegen § 1 Absatz 1 Satz 3 der Notfallstufen-Regelungen richtet. Nach dessen Wortlaut liegt zwar eine Regelung des Beklagten nahe, dass bei einer Nichtbeteiligung an der Notfallversorgung verbindliche Abschläge zu erheben sind. Aus der Überschrift des § 1 “Ziele der Regelung“, der Trennung vom „Gegenstand der Regelung“ in § 2 und den Tragenden Gründen zum Beschluss ergibt sich aber, dass der Beklagte hier keine Regelung im Sinne einer Rechtsnorm getroffen hat.

Die Normenfeststellungsklage ist im Hinblick auf § 3 Absatz 2 Satz 1 Notfallstufen-Regelungen begründet. Danach nimmt ein Krankenhaus nicht am gestuften System von Notfallstrukturen teil, wenn es keiner der Notfallstufen nach den Abschnitten III-V zuzuordnen ist und auch die Voraussetzungen eines Moduls nach Abschnitt VI nicht erfüllt. Dabei stellt bereits die zuschlagsfähige Basisnotfallversorgung nach den §§ 8 ff. Notfallstufen-Regelungen erhebliche sächliche und personelle Anforderungen an die Krankenhäuser. Der Beklagte hat dagegen durch die bloß negativ erfolgte Definition der Nichtteilnahme an der Notfallversorgung den Normsetzungsauftrag des Gesetzgebers nicht hinreichend umgesetzt, eine eigenständige Stufe der Nichtteilnahme als Abschlagsstufe festzulegen.

Die Gesetzgebungskompetenz für § 136c Absatz 4 SGB V ergibt sich aus Artikel 74 Absatz 1 Nummer 19a Grundgesetz (konkurrierende Gesetzgebung für die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und die Regelung der Krankenhauspflegesätze). Die vom Beklagten danach zu beschließenden Regelungen haben eine allein entgeltrechtliche Relevanz. Der Beklagte war zur verbindlichen Regelung eines Systems von Notfallstrukturen im Krankenhaus noch hinreichend demokratisch legitimiert. Aus § 136c Absatz 4 SGB V selbst sowie dessen Einbettung in die Zu- und Abschlagsregelungen des Krankenhausfinanzierungsgesetzes und des Krankenhausentgeltgesetzes ist unter Einbezug der Gesetzmaterialien eine ausreichende Anleitung für das Verfahren der Normsetzung und die inhaltliche Ausgestaltung des vom Beklagten zu entwickelnden Systems zu entnehmen.

Die Bedeutung der in § 136c Absatz 4 SGB V verwendeten Begriffe der Notfallversorgung und der Notfallstrukturen ist nicht zweifelhaft. Notfallversorgung meint alle diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen, die zur Vermeidung von Gesundheitsschäden ohne zeitliche Verzögerung notwendig und nur im Krankenhaus erbringbar sind. Mit dem Begriff der Notfallstrukturen zielte der Gesetzgeber darauf ab, dass die Krankenhäuser personelle und sächliche Mittel zur Notfallversorgung in unterschiedlichem Umfang vorhalten. Der Zweck des vom Beklagten festzulegenden gestuften Systems von Notfallstrukturen im Krankenhaus ist durch entgeltrechtliche Normen hinreichend bestimmt. Die Vereinbarung von Zu- und Abschlägen für die Teilnahme oder Nichtteilnahme an der Notfallversorgung nach § 9 Absatz 1a Nummer 5 Krankenhausentgeltgesetz muss sich auf die Regelungen des Beklagten beziehen. Zu- oder Abschläge bilden nach der Grundregel des § 17b Absatz 1a Krankenhausfinanzierungsgesetz einen erhöhten oder verminderten Aufwand der Krankenhäuser ab, der in der Fallpauschalenvergütung (noch) nicht berücksichtigt wird. Davon ausgehend sollte der Beklagte die Teilnahme oder Nichtteilnahme durch ein Stufensystem regeln. Dies setzt neben den Stufen einer strukturierten Notfallversorgung nach § 136c Absatz 4 Satz 1 SGB V auch die ausdrückliche Regelung einer Stufe für die Nichtteilnahme an der Notfallversorgung voraus.

Diesen Normsetzungsauftrag hat der Beklagte in § 3 Absatz 2 Satz 1 Notfallstufen-Regelungen nicht hinreichend umgesetzt. Die vom Beklagten festzulegende Stufe der Nichtteilnahme erforderte eine Festlegung der Bedingungen, unter denen ein Krankenhaus sich auch an der allgemeinen Notfallversorgung nicht beteiligt. Aus ihnen muss ein verminderter Aufwand im Sinne des § 17b Absatz 1a Krankenhausfinanzierungsgesetz hervorgehen, der es rechtfertigt, das Krankenhaus in die einen Abschlag gebietende Stufe einzuordnen. Die bloß negative Abgrenzung zur Teilnahme eines Krankenhauses am gestuften System genügt dafür nicht.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 10/25.

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