Verhandlung B 12 BA 12/23 R
Versicherungs- und Beitragsrecht - Betriebsprüfung - Rentenversicherungsträger- Beitragsnachforderung - Bescheid - Insolvenzverfahren
Verhandlungstermin
13.05.2025 12:00 Uhr
Terminvorschau
RA H. H. als Insolvenzverwalter ./. Deutsche Rentenversicherung Mitteldeutschland
2 Beigeladene
Mit Beschluss vom 14. Februar 2011 eröffnete das Amtsgericht Dresden das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Insolvenzschuldners und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Infolge einer Betriebsprüfung im März 2017 stellte der beklagte Rentenversicherungsträger hinsichtlich des Prüfzeitraums vom 1. Juni 2007 bis zum 28. Februar 2009 Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen in Höhe von insgesamt über 2,7 Millionen Euro einschließlich Säumniszuschlägen als "sich ergebende" Insolvenzforderungen fest. Die Insolvenzforderungen würden von den zuständigen Krankenkassen als Einzugsstellen im Rahmen des Insolvenzverfahrens geltend gemacht und zur Tabelle angemeldet. Eine Zahlungsaufforderung sei damit nicht verbunden.
Das Sozialgericht hat die Bescheide der Beklagten aufgehoben. Sie seien nichtig, weil der Beklagten während eines Insolvenzverfahrens die Befugnis fehle, einen Insolvenzforderungen feststellenden Verwaltungsakt zu erlassen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht zunächst mit Zwischenurteil entschieden, dass die Beklagte nach der Insolvenzeröffnung befugt gewesen sei, einen Bescheid über Grund und Höhe der Gesamtsozialversicherungsbeiträge sowie Säumniszuschläge gegenüber dem Kläger zu erlassen. Nach einem vom Kläger angenommenen Teilanerkenntnis hinsichtlich der Höhe der Forderung hat das Landessozialgericht mit weiterem Urteil den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 38, 39, 81, 87, 88 und 174 Absatz 3 Insolvenzordnung sowie des § 33 Absatz 1 SGB X. Die Beklagte sei zur Festsetzung von Insolvenzforderungen durch Verwaltungsakt außerhalb des Insolvenzverfahrens nicht befugt. Es bestehe auch kein Bedürfnis zum Erlass eines solchen Verwaltungsakts. Die Einzugsstelle könne die Forderung ohne vorherigen Bescheid der Beklagten zur Tabelle anmelden.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Dresden, S 30 BA 38/19, 08.05.2020
Sächsisches Landessozialgericht, L 9 BA 15/20, 15.06.2023
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Terminbericht
Die Revision des Klägers hat Erfolg gehabt. Das Zwischenurteil und das Urteil des Landessozialgerichts waren aufzuheben. Die Beklagte hat den angefochtenen Betriebsprüfungsbescheid kompetenz- und damit rechtswidrig erlassen. Rentenversicherungsträger sind zwar grundsätzlich berechtigt, Betriebsprüfungen durch einen Verwaltungsakt abzuschließen. Im Fall der Insolvenz des geprüften Arbeitgebers sind die sozialrechtlichen Rechtsgrundlagen für den Erlass eines Verwaltungsakts jedoch im Licht der insolvenzrechtlichen Vorschriften zu betrachten.
Für die Durchsetzung von Insolvenzforderungen ordnet § 87 Insolvenzordnung an, dass die Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen können. Die Norm steht nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesfinanzhofs der Feststellung öffentlich-rechtlicher Insolvenzforderungen durch Verwaltungsakt entgegen. Das gilt auch für durch einen Betriebsprüfungsbescheid festgestellte sozialrechtliche Forderungen. Dies entspricht Sinn und Zweck des Insolvenzrechts. Das als Gesamtvollstreckungsverfahren konzipierte Insolvenzrecht soll eine rechtsgebietsübergreifende gleichmäßige Behandlung der Insolvenzforderungen sicherstellen. Das verbietet die Titulierung einer Forderung außerhalb der insolvenzrechtlichen Vorschriften. § 87 Insolvenzordnung soll die Gleichstellung der Gläubiger (par conditio creditorum) sichern und lässt deshalb die Geltendmachung von Forderung nur nach den Vorschriften des Insolvenzrechts zu.
Die Unvereinbarkeit eines Insolvenzforderungen feststellenden Verwaltungsaktes mit der abschließenden Regelung des § 87 Insolvenzordnung wird nicht durch die in dem angefochtenen Bescheid enthaltenen Hinweise, "Eine Zahlungsaufforderung ist damit nicht verbunden." und "Die Insolvenzforderungen werden von der(n) zuständigen Einzugsstelle(n) zur Tabelle nach § 175 Insolvenzordnung gemeldet.", ausgeschlossen oder entscheidend gemildert. Der Bescheid bleibt als Verwaltungsakt nach § 31 SGB X mit feststellender Wirkung hinsichtlich Bestand und Höhe der jeweiligen Forderung aufgrund seiner Bekanntgabe wirksam erlassen. Wird der gegen den Verwaltungsakt statthafte Rechtsbehelf nicht eingelegt, ist er für die Beteiligten bindend.
Die Rechtsprechung des Senats zur Pflicht des Rentenversicherungsträgers, auch eine beanstandungsfrei durchgeführte Betriebsprüfung durch einen Verwaltungsakt, der den Bestimmtheitsanforderungen genügt und Gegenstand sowie Ergebnis der Prüfung angibt, zu beenden, steht dem nicht entgegen. Diese Rechtsprechung betrifft nicht Insolvenzforderungen. Der ihr zugrunde liegenden Erwägung, den Beteiligten eine ausreichende Rechtssicherheit über den Umfang der Betriebsprüfung zu verschaffen, ist bei Insolvenzforderungen durch die Anmeldung der Beitragsforderung zur Insolvenztabelle durch die Einzugsstelle und im Fall des Widerspruchs den darauf folgenden Erlass eines Verwaltungsakts durch die anmeldende Einzugsstelle Rechnung getragen. Das Urteil des Senats vom 28. April 2015 (B 12 R 16/13 R) betraf sogenannte Masseverbindlichkeiten und nicht Insolvenzforderungen.
Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 13/25.