Verhandlung B 7 AS 7/24 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Arbeitslosengeld II - Aufhebung und Erstattung - russische Altersrente - Jobcenter - zugelassener kommunaler Träger - Eigenbetrieb - Kenntnis - Sozialhilfeträger
Verhandlungstermin
04.06.2025 12:00 Uhr
Terminvorschau
H. F. ./. Jenarbeit - Jobcenter der Stadt Jena
1 Beigeladene
Die Beteiligten streiten über die Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosengeld II für Januar bis Juni 2006 und die Erstattung von rund 2800 Euro wegen des Bezugs einer russischen Altersrente.
Das beklagte Jobcenter ist ein zugelassener kommunaler Träger, der von der Stadt Jena als Eigenbetrieb organisiert ist. Die Stadt Jena ist zugleich örtlicher Träger der Sozialhilfe.
Die Klägerin bezieht seit Oktober 2004 vom russischen Rentenfonds eine Altersrente für Frauen ab dem 55. Lebensjahr in Höhe von zunächst rund 80 Euro monatlich. Diese wurde auf ein russisches Sparbuch eingetragen. Die Klägerin beantragte Ende August 2004 Arbeitslosengeld II ab dem 1. Januar 2005. Sie kreuzte im Antragsformular unter anderem an, sie verfüge über kein Einkommen, auch nicht in Form von Renten. Sie habe keine Sparbücher oder ähnliches. Bei den Fortzahlungsanträgen gab sie jeweils an, es seien keine Änderungen eingetreten. Der Beklagte bewilligte der Klägerin für Januar bis Juni 2006 Arbeitslosengeld II ohne Berücksichtigung von Einkommen in Höhe von monatlich 466,52 Euro. Nachdem er im August 2012 Kenntnis vom Rentenbezug erlangte, nahm er die Bewilligung zurück und verlangte die Erstattung des gezahlten Arbeitslosengelds II.
Das Sozialgericht hat den angefochtenen Rücknahme- und Erstattungsbescheid über einen Teilbetrag von rund 2500 Euro aufgehoben. Das Renteneinkommen sei zwar als Einkommen zu berücksichtigen, lasse den Leistungsanspruch im Übrigen aber unberührt. Das Landessozialgericht hat nach Beiladung der Stadt als örtlichem Träger der Sozialhilfe die Berufung des Beklagten im Wesentlichen zurückgewiesen. Die Bewilligung von Arbeitslosengeld II sei nicht dem Grunde nach rechtswidrig gewesen. Zwar habe die Klägerin wegen des Bezugs der russischen Regelaltersrente keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II, aber einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII gehabt. Die Stadt müsse sich als Sozialhilfeträger die Kenntnis ihres als Eigenbetrieb geführten Jobcenters zurechnen lassen, weil sie Rechtsträger beider sei.
Mit seiner vom Landessozialgericht zugelassenen Revision rügt der Beklagte die Verletzung der §§ 6a Absatz 5 SGB II und der §§ 107 Absatz 1, 105 Absatz 3 SGB X.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Altenburg, S 30 AS 470/14, 20.10.2016
Thüringer Landessozialgericht L 7 AS 958/20, 02.11.2023
Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 15/25.
Terminbericht
Die Revision des Beklagten hatte Erfolg. Der Beklagte hat zu Recht die Bewilligung von Arbeitslosengeld II für Januar bis Juni 2006 zurückgenommen und die gezahlten Leistungen vollständig erstattet verlangt.
Die Bewilligung von Arbeitslosengeld II war von Anfang an rechtswidrig erfolgt. Zutreffend hat das Landessozialgericht erkannt, dass es sich bei der von der Klägerin vom Rentenfonds der Russischen Föderation bezogenen Altersrente für Frauen ab Vollendung des 55. Lebensjahres um Ansprüche nach dem SGB II ausschließende Leistungen handelt, weil sie die gleichen typischen Merkmale aufweist wie eine deutsche Altersrente. Schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin stand der Rücknahme der Leistungsbewilligung nicht entgegen. Diese beruhte nach den revisionsgerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbaren Feststellungen des Landessozialgerichts auf Angaben, die die Klägerin grob fahrlässig unrichtig beziehungsweise unvollständig gemacht hat.
Der Rücknahme des Arbeitslosengeld II-Bewilligungsbescheids und der Erstattung der Leistungen kann nicht die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X entgegen gehalten werden. Zwar steht einem denkbaren Erstattungsanspruch des beklagten Jobcenters, gestützt auf § 105 SGB X, gegen den in seiner Funktion als Sozialhilfeträger Beigeladenen nicht bereits entgegen, dass die Stadt Jena sowohl Rechtsträger des Jobcenters als zugelassener kommunaler Träger als auch Sozialhilfeträger ist. Denn entscheidend für die von § 105 SGB X vorausgesetzte Frage der Zuständigkeit oder Unzuständigkeit ist die Frage der Leistungszuständigkeit. Diese ist jedoch vorliegend zwischen Beklagtem und Beigeladenem klar getrennt. Doch fehlt es dem beigeladenen Sozialhilfeträger an der von § 105 Absatz 3 SGB X geforderten positiven Kenntnis der Leistungspflicht. Die Kenntnis des Jobcenters eines zugelassenen kommunalen Trägers ist dem Sozialhilfeträger im Erstattungsverhältnis auch dann nicht zuzurechnen, wenn es - wie hier - als Eigenbetrieb organisiert ist.
Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 15/25.