Verhandlung B 5 R 4/24 R
Gesetzliche Rentenversicherung - Regelaltersrente - Höhe - Versorgungsausgleich - Schuldnerschutz
Verhandlungstermin
05.06.2025 11:30 Uhr
Terminvorschau
W. R. ./. Deutsche Rentenversicherung Bund
Der Kläger begehrt eine höhere Regelaltersrente für die Zeit von April 2019 bis Februar 2020.
Im Wege eines 1992 durchgeführten Versorgungsausgleichs wurden Anwartschaften von seinem Versicherungskonto auf das ebenfalls bei der Beklagten geführte Versicherungskonto seiner geschiedenen Ehefrau übertragen. Diese heiratete erneut und verstarb im Mai 2008. Die Beklagte gewährte dem zweiten Ehemann eine Witwerrente auch aus dem übertragenen Anrecht. Die Witwerrente war niedriger, als es eine aus dem übertragenen Anrecht gewährte Altersrente gewesen wäre. Im Jahr 2019 änderte das Familiengericht auf Antrag des Klägers den Versorgungsausgleich ab. Danach findet ab April 2019 kein Ausgleich der Anrechte bei der Beklagten mehr statt. Die Beklagte erhielt im Januar 2020 Kenntnis von der Abänderungsentscheidung. Daraufhin berechnete sie die Regelaltersrente des Klägers neu und leistete ihm eine höhere Rente ab März 2020. Die Zahlung des sich aus der Neuberechnung ergebenden Erhöhungsbetrags bereits ab April 2019 lehnte sie ab. Sie habe während der Übergangszeit mit befreiender Wirkung an den Witwer gezahlt.
Das Sozialgericht hat die Beklagte zur Zahlung einer höheren Regelaltersrente für den streitgegenständlichen Zeitraum verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Beklagte könne sich vollumfänglich auf den versorgungsausgleichsrechtlichen Schuldnerschutz berufen. Nach dem bis Juli 2021 geltenden Recht müsse der ehemals Versorgungsausgleichsverpflichtete, hier der Kläger, die in der Übergangszeit an den ehemals Versorgungsausgleichsberechtigten oder seine Hinterbliebenen weitergewährten Leistungen aus dem betroffenen Anrecht gegen sich gelten lassen, auch wenn diese Leistungen hinter der hieraus an ihn zu leistenden Rente zurückblieben.
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung der früheren Fassung des § 30 Versorgungsausgleichsgesetz. Die Beklagte könne sich nur insoweit auf den Schuldnerschutz berufen, wie sie tatsächlich Leistungen aus dem Anrecht erbracht habe. Dies sei seit August 2021
ausdrücklich in der Vorschrift geregelt und habe bereits zuvor gegolten. Die Änderung habe der Gesetzgeber nur zur Klarstellung vorgenommen.
Verfahrensgang:
Sozialgericht München, S 26 R 1636/20, 14.01.2022
Bayerisches Landessozialgericht, L 13 R 91/22, 11.12.2023
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Terminbericht
Die Revision des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Dieser kann von der Beklagten keine weitere Rentenzahlung beanspruchen. Zwar stand dem Kläger auch im streitbefangenen Zeitraum eine höhere Regelaltersrente zu. Die Beklagte war jedoch insoweit von ihrer Pflicht zur Leistung des Erhöhungsbetrags an den Kläger befreit. Das folgt aus der Schuldnerschutzregelung des § 30 Absatz 1 Versorgungsausgleichsgesetz, der hier noch in der bis zum Juli 2021 geltenden Fassung zur Anwendung kam. Die Beklagte konnte sich vollständig auf den Schuldnerschutz berufen, also auch insoweit, wie der Anspruch des Klägers auf Regelaltersrente aus dem Teil seines Anrechts, das nun nicht mehr zu übertragen war, betragsmäßig über die gezahlte Witwerrente hinausging.
Dieses zeitraumbezogene und nicht betragsmäßige Verständnis des Schuldnerschutzes des Versorgungsträgers ergibt die insbesondere am Sinn und Zweck orientierte Auslegung der Vorschrift. Das Bundessozialgericht hat bereits in seiner Rechtsprechung zu der Vorgängerregelung in § 10a Absatz 7 Gesetz zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich die Schuldnerschutzregelung als eine umfassende Privilegierung der Versorgungsträger verstanden. Die am Versorgungsausgleich beteiligten Träger wurden in den Fällen, in denen beiden geschiedenen Ehegatten oder deren Hinterbliebenen bereits Versorgungsleistungen erbracht worden waren, nicht nur umfassend und endgültig vor dem Risiko einer Doppelzahlung geschützt. Sie wurden auch von der Notwendigkeit der verwaltungsintensiven Ermittlung von Überzahlungs- und Nachzahlungsbeträgen sowie der Rückabwicklung bewahrt. Diese Erwägungen gelten gleichermaßen für die bis zum Juli 2021 geltende Fassung des § 30 Absatz 1 Versorgungsausgleichsgesetz als Nachfolgevorschrift. Mit dieser Regelung wurde der bisherige umfassende Schuldnerschutz der Versorgungsträger fortgeführt. Eine inhaltliche Änderung war nicht beabsichtigt. Entsprechend sollte es zwischen dem bisher ausgleichsverpflichteten Ehegatten und dem bisher ausgleichsberechtigten Ehegatten oder deren Hinterbliebenen bei dem Ausgleich nach Bereicherungsrecht verbleiben. Dass § 30 Versorgungsausgleichsgesetz in der seit August 2021 geltenden Fassung inzwischen eine Befreiung der Versorgungsträger lediglich “im Umfang der Überzahlung“ vorsieht, steht dem gefundenen Auslegungsergebnis nicht entgegen. Es handelt sich insoweit nicht um eine bloße “Klarstellung“ durch den Gesetzgeber, sondern um eine konstituierende Rechtsänderung.
Der Senat ist nicht der Überzeugung, dass der Kläger in seinem Grundrecht aus Artikel 14 Absatz 1 Grundgesetz (Eigentumsgarantie) verletzt wird, indem sein Anspruch auf Regelaltersrente, soweit er aus dem bislang übertragenen Teil seines Anrechts erwächst, vorübergehend als erfüllt gilt. Die frühere Fassung des § 30 Absatz 1 Satz 1 Versorgungsausgleichsgesetz ist auch in der Auslegung, die sie durch den Senat erfährt, eine zulässige gesetzliche Inhalts- und Schrankenbestimmung.
Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 16/25.