Verhandlung B 3 KR 6/24 R
Krankenversicherung - Hilfsmittelversorgung - Hörgerät - Überfestbetrag - Freiburger Einsilbertest
Verhandlungstermin
12.06.2025 11:30 Uhr
Terminvorschau
K. v. W. ./. BKK Gildemeister Seidensticker
Im Streit steht die Erstattung von Kosten für eine Hörgeräteversorgung über dem Festbetrag.
Die 1960 geborene und seit 2022 berentete Klägerin leidet an einer beidseitigen hochgradigen Schallempfindungsschwerhörigkeit, rechts an Taubheit grenzend. Nach Verordnung einer beidseitigen Versorgung mit Hörgeräten testete sie ab Ende 2016 verschiedene Geräte, wobei alle im Freiburger Einsilbertest im Nutzschall identische Ergebnisse erreichten, im Störschall blieb das Überfestbetragsgerät um 2,5 %-Punkte hinter den aufzahlungsfreien Geräten zurück. In 2017 beantragte die Klägerin bei der beklagten Krankenkasse die Versorgung mit dem Überfestbetragshörgerät, weil die aufzahlungsfreien Geräte ihre Behinderung insbesondere in größeren Gesprächskreisen, im Straßenverkehr und in lauter Umgebung nicht ausreichend ausgleichen würden; auch sei ihr unter diesen Geräten kein Orten der Richtung von Geräuschen möglich. Die Beklagte lehnte eine Versorgung oberhalb des Festbetrags - dessen Übernahme sie bewilligte - ab, da kein Gebrauchsvorteil im Vergleich mit den aufzahlungsfreien Geräten festgestellt werden könne.
Die Klägerin schaffte die begehrten Hörgeräte während des Klageverfahrens an.
Das Sozialgericht hat der Klage stattgegeben, das Landessozialgericht hat diese Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen: Unter genormten Bedingungen sei mit allen Hörgeräten ein vergleichbares Sprachverstehen erzielt worden. Ein subjektiv anderer Höreindruck der Versicherten reiche nicht aus, um einen Hörgewinn zu objektivieren. Besondere berufliche kommunikative Anforderungen seien nicht ersichtlich.
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts begrenze der Festbetrag die Leistungspflicht der Krankenkasse dann nicht, wenn er für den Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderungen objektiv nicht ausreiche. Dies sei hier nicht berücksichtigt worden, weil unter Missachtung der Hilfsmittel-Richtlinie und selbstverpflichtender Qualitätssicherungsvereinbarungen ihr subjektiver Hörgewinn außer Betracht geblieben sei.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Leipzig, S 22 KR 406/18, 09.08.2021
Sächsisches Landessozialgericht, L 9 KR 284/21, 04.04.2023
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Terminbericht
Die Revision der Klägerin war im Sinne der Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts- und Zurückverweisung der Sache an das Landessozialgericht erfolgreich. Das Urteil leidet an dem von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangel der unterbliebenen notwendigen Beiladung des Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung. Dies steht einer Sachentscheidung des Senats entgegen.
Den Antrag auf Hörgeräteversorgung hat die Klägerin bei der beklagten Krankenkasse gestellt, die diesen Antrag nicht weitergeleitet hat und damit umfassend für Leistungen der Teilhabe zuständig geworden ist. Das Landessozialgericht hat in diesem Zusammenhang übersehen, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Selbstbeschaffung des Hörgerätes im Juli 2018 die Klägerin noch nicht berentet, sondern erwerbstätig war. Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass ein spezifischer beruflicher Versorgungsbedarf bestanden hat. Das Landessozialgericht wird die notwendige Beiladung des Rentenversicherungsträgers im zurückverwiesenen Verfahren nachholen müssen. Sollte ein berufsspezifischer Bedarf nicht festgestellt werden können, bedarf es einer erneuten tatrichterlichen Würdigung, ob seinerzeit das selbstbeschaffte Überfestbetragsgerät für die Klägerin einen erheblichen Gebrauchsvorteil im Alltag gebracht hat, obwohl im Freiburger Einsilbertest ein Hörgewinn nicht gemessen worden ist. Zur Objektivierung des Hörvermögens bei der Hörgeräteversorgung von Versicherten mit an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit waren auch andere Testverfahren nach der Anlage 11 des Vertrags über die bundesweite Versorgung von Versicherten der Betriebskrankenkassen mit Hörsystemen auf der Basis der Hilfsmittel-Richtlinie einsetzbar, zu deren Einsatz hier wegen des Widerspruchs zwischen den Ergebnissen des Freiburger Einsilbertests und dem subjektiven Höreindruck Anlass bestand. Hinsichtlich der Maßstäbe für die Versorgung mit Überfestbetragsgeräten wird auf die Ausführungen im Verfahren B 3 KR 13/23 R verwiesen.
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