Verhandlung B 3 KR 12/23 R
Krankenversicherung - Hilfsmittelversorgung - propriozeptive Einlagen in Sonderanfertigung - neue Behandlungsmethode - Behindertenausgleich
Verhandlungstermin
12.06.2025 09:30 Uhr
Terminvorschau
L. L. W. ./. Techniker Krankenkasse
Im Streit steht die Erstattung von Kosten für ein Paar propriozeptive (synonym für sensomotorische) Einlagen.
Die 2002 geborene, bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Klägerin leidet an einer muskulären Dysbalance und Außenrotation des linken Fußes. Den 2019 unter Vorlage fachärztlicher Verordnung gestellten Antrag auf propriozeptive Einlagen in Sonderanfertigung lehnte die Beklagte ab. Bei dem Behandlungskonzept der Sensomotorik auf neurophysiologischer Basis mit sensomotorischen Einlagen handele es sich um eine unkonventionelle Methode, für die der Gemeinsame Bundesausschuss keine positive Empfehlung ausgesprochen habe.
Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben: Die Einlagen dienten der Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung, weil sie in engem Zusammenhang zu einem andauernden, auf einem ärztlichen Therapieplan beruhenden Behandlungskonzept stünden. Mit Hilfe gezielter Stimulation werde eine gestörte Bewegungskoordination verbessert, während herkömmliche Einlagen nur das Fußgewölbe unterstützten. Die streitigen Einlagen seien von der Sperrwirkung des § 135 Absatz 1 Satz 1 SGB V erfasst. Die erforderliche positive Bewertung der neuen Behandlungsmethode durch den Gemeinsamen Bundesausschuss fehle. Im Hilfsmittelverzeichnis seien propriozeptive Einlagen mit dem Hinweis versehen, dass die erforderlichen Nachweise zum medizinischen Nutzen bislang nicht vorliegen.
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Es handele sich bei den streitgegenständlichen Einlagen um ein Hilfsmittel, das dem Behinderungsausgleich diene; insofern bedürfe es keiner positiven Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses, um in die Leistungspflicht der Krankenkassen zu fallen.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Hildesheim, S 60 KR 300/20, 19.05.2022
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, L 4 KR 330/22, 01.06.2023
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Terminbericht
Die Revision der Klägerin war erfolglos. Die Klägerin hat mangels einer positiven Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses keinen Anspruch gegen die beklagte Krankenkasse auf Kostenübernahme für ein Paar propriozeptive (sensomotorische) Einlagen.
Einer Kostenübernahme in Form der Kostenfreistellung oder Kostenerstattung steht die Sperrwirkung des Methodenbewertungsvorbehalts nach § 135 Absatz 1 Satz 1 SGB V entgegen, wonach neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zulasten der Krankenkassen nur erbracht werden dürfen, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss auf Antrag Empfehlungen abgegeben hat über unter anderem die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Soweit hierzu Feststellungen zum allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu treffen sind, obliegen diese nach der neueren Rechtsprechung des Senats bei jedenfalls auch zu kurativen oder präventiven Zwecken bestimmten Hilfsmitteln ausschließlich dem Gemeinsamen Bundesausschuss, wenn sie in medizinischer Hinsicht wesentliche, bisher nicht geprüfte Neuerungen im Vergleich zu etablierten Therapien betreffen. Dies gilt auch für Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich.
Als Hilfsmittel zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung fehlt propriozeptiven Einlagen die erforderliche positive Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses für eine Abgabe zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung. Ihr Einsatz als mit einer ärztlich verantworteten therapeutischen Krankenbehandlung untrennbar verbundenes Hilfsmittel fällt unter den von der Rechtsprechung entwickelten weiten Begriff der Behandlungsmethode, die bei einem bestimmten Krankheitsbild systematisch angewandt werden soll und auf ein therapeutisches Ziel im Rahmen eines auf einem ärztlichen Therapieplan beruhenden Behandlungskonzepts - hier der gezielten Stimulation zur Verbesserung einer gestörten Bewegungskoordination - ausgerichtet ist. Bei dem Einsatz dieses therapeutischen Hilfsmittels stellen sich hinsichtlich der Schutzzwecke des § 135 Absatz 1 Satz 1 SGB V Fragen zur Erforderlichkeit einer Methodenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss. Dies zeigt sich schon an der Bewertung der propriozeptiven Einlagen durch den GKV-Spitzenverband im Verfahren der Fortschreibung des Hilfsmittelverzeichnisses in der Produktgruppe 08 “Einlagen“ vom 21. Dezember 2020, nach der die Auswertung des aktuellen Stands der medizinischen Erkenntnisse ergeben hat, dass der medizinische Nutzen derartiger Einlagen bislang weiterhin nicht nachgewiesen ist.
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