Verhandlung B 2 U 9/23 R
Unfallversicherung - Berufskrankheit - Harnblasenkarzinom - Exposition - aromatische Amine - Schmierfette
Verhandlungstermin
17.06.2025 11:00 Uhr
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R. B. ./. Berufsgenossenschaft Holz und Metall
Der Kläger war nach seiner Ausbildung zum Schlosser seit den 1970er Jahren in den alten Bundesländern als Monteur und Schlosser tätig. Dabei verwendete er Schmierfette und führte auch Rissprüfungen durch. Mit 52 Jahren erkrankte er an einem bösartigen Harnblasentumor.
Die Beklagte lehnte die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nummer 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine - Berufskrankheit 1301) ab. Die Klage vor dem Sozialgericht blieb erfolglos. Im Berufungsverfahren erklärte sich die Beklagte vergleichsweise zu neuen Ermittlungen über Belastungen durch Schmierstoffe im Schlosserberuf bereit, nachdem der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. N. von einer beruflichen Exposition des Klägers gegenüber aromatischen Aminen ausgegangen war und insbesondere der im Berufskrankheiten-Report Aromatische Amine, 2014 unter Bezug auf Lichtenstein et al, Gefahrstoffe, 2013 geäußerten These, das aromatische Amin 2-Naphthylamin (2NA) habe sich nur in Schmierfettproben aus der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) nachweisen lassen, lediglich hypothetischen Charakter beigemessen hatte.
Die Beklagte lehnte die Rücknahme ihres Ausgangsbescheides im Anschluss an abschlägige Stellungnahmen ihrer Präventionsabteilung ab. Im Klageverfahren ist der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. Dr. R. wie zuvor Prof. Dr. N. von einer Exposition des Klägers gegenüber aromatischen Aminen ausgegangen. Das Sozialgericht hat die Klage unter Hinweis auf eine fehlende Risikoverdoppelung abgewiesen, das Landessozialgericht hieran anschließend die Berufung zurückgewiesen. Mit der Präventionsabteilung der Beklagten und dem Berufskrankheiten-Report Aromatische Amine, 2019 lasse sich eine gefährdende Exposition des Klägers gegenüber aromatischen Aminen, insbesondere gegenüber 2NA in Schmierfetten, nicht feststellen.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 9 SGB VII in Verbindung mit Nummer 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung sowie einen Verstoß gegen § 103 SGG.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Koblenz, S 13 U 128/19, 07.12.2021
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, L 3 U 11/22, 07.06.2022
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Terminbericht
Die Revision des Klägers führte zur Zurückverweisung. Der Senat kann nicht abschließend darüber entscheiden, ob die Voraussetzungen der Berufskrankheit 1301 (Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine) beim Kläger vorliegen und deshalb die Ablehnung der Rücknahme des diese Berufskrankheit verneinenden Ausgangsbescheides rechtswidrig war.
Soweit das Landessozialgericht bereits das Vorliegen der sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheit 1301, das heißt den Kontakt mit humankarzinogenen aromatischen Aminen, verneint hat, vermag der Senat dieser Einschätzung nicht zu folgen. Der in Bezug genommene Berufskrankheiten-Report 2019 und die dort maßgeblich zugrunde gelegte Untersuchung von Lichtenstein et al, Gefahrstoffe, 2013 sind keine taugliche Grundlage für den vom Landessozialgericht angenommenen allgemeinen Erfahrungssatz und die getroffene generelle Feststellung, dass Schmierstoffe in den alten Bundesländern in der Vergangenheit nicht mit 2- Naphthylamin (2NA) verunreinigt gewesen sind. Dies geht ersichtlich über die von Lichtenstein et al aus der Untersuchung von 18 Schmierstoffproben gezogenen Schlussfolgerungen hinaus. Das Landessozialgericht wird deshalb die 2NA-Belastung des Klägers durch Schmierstoffe neu zu ermitteln haben.
Hinsichtlich der festgestellten Exposition des Klägers gegenüber 4-Aminoazobenzol und o-Toluidin im Zusammenhang mit Rissprüfarbeiten verkennt das Landessozialgericht die rechtlichen Maßstäbe zum Mindestgrenzwert bei der Berufskrankheit 1301. Ein Mindestgrenzwert stellt hier kein Ausschlusskriterium dar (Senatsurteil vom 27. September 2023 - B 2 U 8/21 R). Insoweit bedarf es weiterer Ermittlungen, ob das Harnblasenkarzinom des Klägers durch die Einwirkung gegenüber aromatischen Aminen im Laufe seines Berufslebens wesentlich bedingt wurde. Hierbei sind auch etwaige konkurrierende Ursachen zu berücksichtigen.
Gelangt das Landessozialgericht im Rahmen der erneuten Prüfung zu der Einschätzung, dass ein Ursachenzusammenhang bejaht werden kann, so ist der Ausgangsbescheid auch im Zeitpunkt seines Erlasses als rechtswidrig zu qualifizieren. Abzustellen ist auf die damalige Sach- und Rechtslage, jedoch aus heutiger Sicht.
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