Verhandlung B 1 KR 3/24 R
Krankenversicherung - Krankenhaus - Pflegepersonaluntergrenze - pflegeintensiver Bereich - Neurologie
Verhandlungstermin
16.07.2025 14:00 Uhr
Terminvorschau
R GmbH ./. Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus GmbH
Die Klägerin betreibt ein Krankenhaus, dass mit den Fachgebieten Chirurgie und Neurologie in den Krankenhausplan des Landes Baden-Württemberg aufgenommen worden ist. Die Beklagte ist das in der Rechtsform einer GmbH betriebene Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus, dessen Aufgabe es unter anderem ist, nach § 3 der auf Grund von § 137i Absatz 3 Satz 1 in Verbindung mit Satz 2 SGB V erlassenen Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung (vorliegend maßgeblich in der Fassung vom 9. November2020, BGBl I 2357) pflegesensitive Bereiche in den Krankenhäusern zu ermitteln und nach § 5 Absatz 1 Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung den betroffenen Krankenhäusern das Ergebnis zu übermitteln.
Die Klägerin wendet sich gegen die Feststellung eines pflegesensitiven Bereichs in ihrem Krankenhaus im Fachgebiet der Neurologie für 2021 durch die Beklagte mit deren Schreiben vom 12. November 2020 und 6. Mai 2021 und Widerspruchsbescheid vom 6. Oktober 2021. Die Klägerin hatte gegen die Feststellung im Schreiben vom 12. November 2020 eingewandt, die in einer typischen neurologischen Fachabteilung eines Krankenhauses anzutreffenden Krankheitsbilder der Neurologie (Hirninfarkt, Epilepsie, Entzündungen des Nervensystems) würden von ihrem Krankenhaus nicht behandelt. Gegen einen pflegesensitiven Bereich spreche auch, dass die Indikatoren-Fallpauschalen nach der Anlage zu § 3 Absatz 1 Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung im Krankenhaus der Klägerin lediglich zu einem sehr geringen Anteil abgerechnet würden. Diese Besonderheiten führten dazu, dass bei der Versorgung der Patienten ein wesentlich geringerer Personaleinsatz im Bereich der Pflege erforderlich sei, dafür aber ein deutlich höherer Anteil von Therapeuten, insbesondere Physiotherapeuten und Psychologen. Mit Schreiben vom 6. Mai 2021 war die Beklagte bei der Festlegung des pflegesensitiven Bereichs Neurologie verblieben. Den hiergegen erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 6. Oktober 2021 zurück: Sie handele bei Erlass der Bescheide als Beliehene, was der Gesetzgeber inzwischen klargestellt habe. Sie habe den pflegesensitiven Bereich auf Grundlage der Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung zutreffend ermittelt, ein Spielraum komme ihr hierbei nicht zu.
Das Sozialgericht hat “die Bescheide“ der Beklagten vom 12. November 2020 und 6. Mai 2021, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Oktober 2021 aufgehoben. Das Landessozialgericht hat die Berufung der Beklagte zurückgewiesen: Die von der Beklagten bei der Feststellung des pflegesensitiven Bereichs in der Neurologie der Klägerin korrekt angewendete Rechtsgrundlage in § 3 Absatz 2 Nummer 1 Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung verstoße gegen höherrangiges Recht. Da § 6 Absatz 1 Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung die Pflegepersonaluntergrenzen entgegen § 137i Absatz 1 Satz 3 SGB V in der seit dem 1. Januar 2019 geltenden Fassung nicht differenziert nach Schweregradgruppen nach dem jeweiligen Pflegeaufwand festsetze, verstoße in Zusammenschau auch die allein pauschalierte, fachabteilungsbezogene Festlegung von pflegesensitiven Bereichen nach § 3 Absatz 2 Nummer 1 Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung gegen höherrangiges Recht.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 137i Absatz 1 Satz 3 SGB V, § 3 Absatz 2, § 5 Absatz 1 und § 6 Absatz 1 Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung sowie § 54 Absatz 2 Satz 1 SGG. Die angefochtenen Bescheide über die Feststellung des pflegesensitiven Bereichs der Neurologie sei nicht schon deswegen rechtswidrig, weil § 6 Absatz 1 Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung keine Differenzierung nach Schweregradgruppen vornehme. Eine Verpflichtung zur Differenzierung nach Schweregradgruppen bestehe nach dem Wortlaut des § 137i Absatz 1 Satz 3 SGB V nur dann, wenn sich dies nach dem von der Beklagten erstellten und jährlich weiterentwickelten Katalog zur Risikoadjustierung für Pflegeaufwand bestimme. Dies sei nicht der Fall, denn die Differenzierung nach Schweregradgruppen sei auf Grundlage des vorliegenden Zahlenmaterials nicht sachgerecht. Außerdem habe der Verordnungsgeber die Vorgabe durch Ausweisung unterschiedlicher Teilbereiche der Neurologie (neurologische Frührehabilitation, neurologische Schlaganfalleinheit und Intensivmedizin) als pflegesensitive Bereiche sachgerecht umgesetzt. Außerdem hätten auch im Fall einer unzureichenden Differenzierung nach Schweregradgruppen keine niedrigeren Personaluntergrenzen festgesetzt werden können, da es sich bereits um die Untergrenze einer Mindestpersonalausstattung handele. Die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide könne sich ohnehin nicht aus einer etwaigen fehlenden Schweregradgruppendifferenzierung ergeben. Denn die Bescheide bezögen sich lediglich auf die Feststellung pflegesensitiver Bereiche; die Personaluntergrenzen ergäben sich hingegen unmittelbar aus der Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung . Eine etwaige Nichtigkeit der diesbezüglichen Regelungen schlage jedenfalls nicht auf die Bestimmung der pflegesensitiven Bereiche durch. Es fehle auch weder an einer ordnungsgemäßen Beleihung der Beklagten, noch verstoße der Feststellungsbescheid gegen den Gleichheitssatz.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Karlsruhe - S 9 KR 2984/21, 10.10.2022
Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 5 KR 3223/22, 13.12.2023
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Terminbericht
Die Revision der Beklagten hat Erfolg gehabt. Der Senat hat die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Beklagte hat mit ihren Schreiben vom 12. November 2020 und 6. Mai 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Oktober 2021 rechtmäßig festgestellt, dass das Krankenhaus der Klägerin im Jahr 2021 über den pflegesensitiven Bereich Neurologie verfügt hat. Da nicht ausgeschlossen ist, dass diese Feststellung noch Rechtswirkungen entfaltet, ist keine Erledigung des Verwaltungsakts eingetreten. Für die Rechtmäßigkeit ist unerheblich, ob die Beklagte vor Inkrafttreten des § 31 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes bereits ordnungsgemäß zur Ausübung hoheitlicher Gewalt beliehen war. Jedenfalls mit dem Widerspruchsbescheid vom 6. Oktober 2021 durfte die Beklagte eine verbindliche Feststellung über das Vorliegen pflegesensitiver Bereiche in der Form eines Verwaltungsakts treffen. Seit Inkrafttreten der §§ 31 ff des Krankenhausfinanzierungsgesetzes am 20. Juli 2021 lag eine ordnungsgemäße Beleihung vor. Die Befugnis der Beklagten, pflegesensitive Bereiche in Krankenhäusern verbindlich durch Verwaltungsakt festzustellen, folgt aus § 31 Absatz 2 in Verbindung mit § 31 Absatz 1 Nummer 1 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes in Verbindung mit § 137i Absatz 3 SGB V und § 5 Absatz 1 Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung. Die Beklagte entscheidet als Beliehener über die ihr durch das SGB V übertragenen Aufgaben regelhaft mittels Verwaltungsakt, soweit nicht sich ausnahmsweise aus der Art der Aufgabenübertragung etwas anderes ergibt. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Die Regelungskonzeption des § 137i SGB V und der Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung spricht vielmehr maßgeblich für die von § 31 Absatz 2 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes übertragene Verwaltungsaktsbefugnis als Regelfall. Schließlich spricht auch § 137i Absatz 4c SGB V eher für eine umfassende Verwaltungsaktbefugnis der Beklagten.
Die Feststellung der neurologischen Fachabteilung der Klägerin als pflegesensitiver Bereich erfolgte auch im Übrigen rechtmäßig. Die Klägerin verfügt über eine Fachabteilung für Neurologie und fällt damit unter die Regelung in § 3 Absatz 2 Nummer 1 Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung. Die Regelung ist mit der - verfassungsgemäßen - Ermächtigungsgrundlage in § 137i Absatz 3 Satz 1 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 und 2 SGB V vereinbar. Der Verordnungsgeber durfte sich aufgrund seines weiten methodischen und inhaltlichen Gestaltungsspielraums der Methode des personalassoziierten Risikos für Pflegekomplikationen bedienen. Er folgt damit der Konzeption, an die auch der Gesetzgeber angeknüpft hat. Der Gesetzgeber hat seinen weiten Gestaltungsspielraum bei der Regelung von Qualitätsanforderungen für die Krankenhausversorgung nicht überschritten. Die Frage, ob die in § 6 Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung geregelten Pflegepersonaluntergrenzen ausreichend nach Schweregradgruppen differenzieren, ist dagegen hier nicht zu entscheiden.
Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 22/25.