Verhandlung B 12 BA 7/23 R
Versicherungs- und Beitragsrecht - Versicherungspflicht - Versicherungsfreiheit - Lohnbuchhalter - Vertrag über freie Mitarbeit - Steuerberater
Verhandlungstermin
22.07.2025 12:00 Uhr
Terminvorschau
D. D. K. ./. Deutsche Rentenversicherung Bund und 2 Beigeladene
Der Beigeladene ist gelernter Steuerfachgehilfe. Er hat 1984 ein Gewerbe für "Buchführungsservice" angemeldet und ist seitdem selbstständig tätig, privat krankenversichert und verfügt über eine private Altersvorsorge. Mit dem Kläger, einem freiberuflichen Steuerberater, schloss er im Januar 2018 einen Vertrag über freie Mitarbeit, in dem er sich zur selbstständigen Bearbeitung der laufenden Lohnabrechnung für 30 in der Anlage zum Vertrag aufgelistete Mandanten des Klägers verpflichtete. Vertraglich und tatsächlich unterlag der Beigeladene keinen Weisungen, hatte selbst keine Weisungsbefugnis gegenüber den Angestellten des Klägers und war in der örtlichen und zeitlichen Disposition sowie in der Art und Weise der Auftragsdurchführung frei. Leistungen waren nicht in Person zu erbringen. Als Vergütung vereinbart wurde ein monatliches Pauschalhonorar in Höhe von 35 vom Hundert des mit den zu bearbeitenden Aufträgen erzielten Nettoumsatzes. Im Vertrag wurde ausdrücklich festgehalten, dass der Beigeladene auch für andere Auftraggeber tätig sein solle. Der Beigeladene arbeitete bis zum Ende des Auftragsverhältnisses am 31. Dezember 2018 etwa 50 bis 55 Stunden pro Monat für den Kläger. Zusätzlich zu den im Vertrag bestimmten Mandaten bearbeitete er auch weitere Aufträge des Klägers, wobei er diese ohne Nennung von Gründen ablehnen konnte. Außerdem erledigte er auch die Abrechnungen für die Belegschaft des Klägers gegen eine Pauschale in Höhe von 250 Euro monatlich. Daneben war er im Jahr 2018 für mindestens 18 weitere eigene Auftraggeber tätig. Für die Nutzung eines Pool-Bildschirmarbeitsplatzes in den Räumlichkeiten des Klägers sowie dessen IT-Infrastruktur wurde ihm ein pauschaliertes monatliches Nutzungsentgelt in Höhe von 35 Euro (netto) in Rechnung gestellt. Bei Arbeiten von zu Hause nutzte der Beigeladene seinen eigenen PC mit Verbindung zum Geschäftsserver. Abwesenheitszeiten teilte er dem Kläger nicht mit.
Die Beklagte stellte fest, dass die Tätigkeit des Beigeladenen als Lohnbuchhalter für den Kläger aufgrund Beschäftigung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlegen habe. Das Sozialgericht hat die Verwaltungsentscheidung der Beklagten aufgehoben und festgestellt, dass die Tätigkeit nicht im Rahmen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt worden sei. Das Landessozialgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die Umstände würden gleichermaßen für eine Selbstständigkeit wie für eine abhängige Beschäftigung sprechen, so dass im vorliegenden Einzelfall dem Willen der Vertragsparteien, eine selbstständige Tätigkeit zu vereinbaren, ausnahmsweise eine gewichtige indizielle Bedeutung zukomme. Entsprechend einem früheren Urteil des Bundessozialgerichts könne auch das bisherige Berufsleben des Beigeladenen als Selbstständiger ausnahmsweise als Indiz dafür gelten, was gewollt sei.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 7 Absatz 1 SGB IV. Nach einer Gesamtabwägung liege eine Beschäftigung vor. Der Beigeladene sei als Erfüllungsgehilfe in die fremde Betriebsorganisation des Kläger funktionsgerecht dienend eingegliedert gewesen, ohne dass typische unternehmerische Freiheiten vorgelegen hätten. Daher käme es weder auf den Willen der Vertragsparteien noch ergänzend auf den Erwerbsstatus im bisherigen Berufsleben an.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Gießen - S 19 BA 19/19, 29.09.2022
Hessisches Landessozialgericht - L 1 BA 72/22, 27.04.2023
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Terminbericht
Die Revision der Beklagten war nicht erfolgreich. Die Tätigkeit des beigeladenen Lohnbuchhalters bei dem Kläger unterlag im Jahr 2018 nicht der Versicherungspflicht aufgrund Beschäftigung. Bei Gesamtbetrachtung der Umstände teilt der Senat die Auffassung des Landessozialgerichts, dass sich hier die Anhaltspunkte für eine abhängige Beschäftigung die Waage mit den Indizien für eine selbstständige Tätigkeit halten.
Für eine fremdbestimmte Eingliederung als Merkmal der Beschäftigung nach § 7 Absatz 1 SGB IV spricht, dass der Kläger die Mandanten akquirierte, dem Beigeladenen einen Pool-Arbeitsplatz zur Verfügung stellte und dessen Tätigkeit über die Kanzlei abrechnete. Auch wenn der Beigeladene als Erfüllungsgehilfe eingesetzt wurde, kommt es gleichwohl noch auf den Grad der Einbindung in die Arbeitsorganisation des Klägers an. Gegen eine Fremdbestimmung spricht das Fehlen örtlicher, zeitlicher oder inhaltlicher Vorgaben. Weisungen bei der Durchführung der klar umrissenen Leistungen des Beigeladenen waren vertraglich ausdrücklich ausgeschlossen und wurden nach den Feststellungen des Landessozialgerichts auch tatsächlich nicht erteilt. Die Verantwortung musste auch nicht aus berufsrechtlichen Gründen durch den Kläger als Steuerberater wahrgenommen werden, weil der Beigeladene als gelernter Steuerfachgehilfe die laufende Lohnabrechnung nach § 6 Nummer 4 Steuerberatungsgesetz geschäftsmäßig ausüben durfte. Für die freigestellte Nutzung der Büroräume wurde ihm ein pauschaliertes monatliches Nutzungsentgelt in Höhe von 35 Euro netto in Rechnung gestellt. Diese und weitere dem Beigeladenen eingeräumten Freiheiten waren hier erkennbar darauf ausgelegt, Raum für seine anderweitige unternehmerische Betätigung zu belassen. Durch die am erwirtschafteten Umsatz und nicht allein am zeitlichen Aufwand orientierte Vergütung trug der Beigeladene auch das unternehmerische Risiko einer ineffektiven oder mangelhaften Arbeitsweise.
Da hier die Umstände bei einer Gesamtabwägung gleichermaßen für eine abhängige Beschäftigung wie für eine Selbstständigkeit sprechen, durfte das Landessozialgericht dem Willen der Beteiligten, eine selbstständige Tätigkeit zu vereinbaren, ausnahmsweise eine gewichtige Bedeutung beimessen. Da sich dieser Wille bereits deutlich aus dem Vertrag ergibt, kommt es auf den Status im bisherigen Berufsleben des Beigeladenen schon deshalb nicht entscheidungserheblich an.
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