Verhandlung B 12 BA 14/23 R
Versicherungs- und Beitragsrecht - sozialrechtliches Verwaltungsverfahren - Statusfeststellung - Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts - Drittanfechtungsklage - Ermessensausübung
Verhandlungstermin
22.07.2025 13:00 Uhr
Terminvorschau
A. L. ./. Deutsche Rentenversicherung Bund und 3 Beigeladene
Die Klägerin ist ausgebildete Erzieherin und hat unter anderem Fortbildungen zur Kinderschutzfachkraft und zur Systemischen Beraterin absolviert. Zur Erfüllung seiner Aufgaben setzte der beigeladene Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Klägerin insbesondere für Leistungen der Hilfe zur Erziehung nach dem SGB VIII ein. Hierzu wies er der Klägerin auf der Grundlage von mit ihr und einer später unter anderem von ihr gegründeten Partnerschaftsgesellschaft geschlossenen Entgeltvereinbarungen Kinder und Jugendliche jeweils durch individuelle Kostenzusicherung für einen bestimmten Zeitraum zu. Im Statusfeststellungsverfahren stellte die Beklagte Versicherungspflicht aufgrund Beschäftigung in allen Zweigen der Sozialversicherung zunächst für den Zeitraum ab dem 1. April 2015, später auch für den davor liegenden Zeitraum ab dem 18. März 2011 fest. Nachdem der Beigeladene Klage erhoben hatte, hat die Beklagte ihre früheren Bescheide zurückgenommen und festgestellt, dass die Klägerin ihre Tätigkeit für den Beigeladenen ab dem 18. März 2011 nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses erbracht habe und daher keine Versicherungspflicht bestehe. Ihr Anerkenntnis hat der Beigeladene angenommen. Den Widerspruch der Klägerin hat die Beklagte zurückgewiesen.
Das Sozialgericht hat den Rücknahmebescheid aufgehoben, weil die Beklagte darin kein Ermessen ausgeübt habe. Auf die Berufungen der Beklagten und des Beigeladenen hat das Landessozialgericht das Urteil des Sozialgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die früheren Bescheide der Beklagten seien rechtswidrig gewesen, weil die Klägerin selbstständig tätig gewesen sei. Die Beklagte sei berechtigt gewesen, ihre früheren Bescheide im Rahmen der Drittanfechtungsklage des Beigeladenen ohne die Ausübung von Ermessen zurück zu nehmen.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision. Sie rügt eine Verletzung unter anderem von § 7 und § 7a SGB IV sowie von § 45 und § 49 SGB X. Auch bei der Aufhebung eines Verwaltungsakts im Rahmen einer Drittanfechtungsklage habe die Beklagte Ermessen auszuüben. Zudem seien die früheren Bescheide nicht rechtswidrig gewesen. Das Landessozialgericht habe nicht berücksichtigt, dass die Beklagte das Fehlen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung ab dem 18. März 2011 ohne zeitliche Begrenzung festgestellt.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Fulda - S 3 R 257/17, 28.01.2020
Hessisches Landessozialgericht - L 8 BA 13/20, 24.08.2023
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Terminbericht
Die Revision der Klägerin war erfolglos. Zu Recht hat das Landessozialgericht das Urteil des Sozialgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Beklagte war berechtigt, ihre früheren Verwaltungsakte im Rahmen der Drittanfechtungsklage des Beigeladenen zurückzunehmen. Die früheren Bescheide waren rechtswidrig, weil die Klägerin für den Beigeladenen selbstständig tätig war. Die Beklagte durfte auch ihre früheren Verwaltungsakte ohne die Ausübung von Ermessen zurücknehmen.
Die früheren Bescheide waren für die Klägerin begünstigend. Ihre Rücknahme durch die Beklagte erfolgte im Rahmen einer zulässigen Drittanfechtungsklage des Beigeladenen. Durch die Rücknahme wurde der Klage gleichsam statt gegeben. Die früheren Bescheide waren rechtswidrig, weil die Klägerin für den Beigeladenen selbstständig tätig war. Dies folgt aus einer Gesamtabwägung der vom Landessozialgericht festgestellten, den Senat bindenden Feststellungen. Danach war die Klägerin auf der Basis von Entgeltvereinbarungen und individuellen Kostenübernahmeerklärungen weitestgehend weisungsfrei tätig und kaum bis gar nicht in die Arbeitsorganisation des Beigeladenen eingegliedert.
Schließlich durfte die Beklagte ihre früheren Verwaltungsakte ohne die Ausübung von Ermessen zurücknehmen. Jedenfalls für die hier vorliegende Drittanfechtungsklage des vermeintlichen Arbeit-/Beschäftigungsgebers im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens ist kein Ermessen auszuüben. Ziel des Statusfeststellungsverfahrens ist gerade die einheitliche Klärung der Statusfrage. Die Ausübung von Ermessen zugunsten des begünstigten Versicherten im Fall eines zulässigen und begründeten Rechtsbehelfs eines Auftraggebers hätte einer eindeutigen Ermächtigung bedurft, denn die Ausübung von Ermessen würde unter Umständen zu dessen Lasten gehen. Eine solche Ermächtigung fehlt.
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