Verhandlung B 1 KR 28/24 R
Krankenversicherung - Krankenhausvergütung - Kodierung - intensivmedizinische Komplexbehandlung - Intensivstation
Verhandlungstermin
27.08.2025 10:00 Uhr
Terminvorschau
N-Kliniken GmbH ./. VIACTIV BKK
Die Klägerin, Trägerin eines nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhaus, berechnete für die vollstationäre Behandlung einer Versicherten der beklagten Krankenkasse vom 21. März bis 4. April 2013 und vom 12. April bis 28. Mai 2013 36 147,31 Euro nach Fallpauschale T77Z und kodierte hierfür als Hauptdiagnose I33.0 (Akute und subakute infektiöse Endokarditis) sowie die Prozedur 8-98f.21 (Aufwändige intensivmedizinische Komplexbehandlung [Basisprozedur], 829 bis 1104 Aufwandspunkte) nach dem Operationen- und Prozedurenschlüssel. Während des zweiten Zeitraums wurde die Versicherte auf der seinerzeit von der Klägerin so bezeichneten Intermediate Care-Station versorgt. Die Station wurde laut einer Erklärung des Geschäftsführers und des Direktors des klägerischen Krankenhauses 2015 in "Intensivstation" umbenannt und blieb bis zur Anpassung an die Vorgaben der Pflegepersonaluntergrenzenverordnung zum 1. Januar 2019 in ihrer Struktur seit 2010 unverändert. Nach einem Strukturgutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung aus dem Jahr 2016 erfüllte diese Station die Voraussetzungen für die Kodierung des Operationen- und Prozedurenschlüssels 8-980 (Intensivmedizinische Komplexbehandlung).
Die Beklagte beglich den Rechnungsbetrag von 36 147,31 Euro und beauftragte den Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung mit der Prüfung der Abrechnung. Dieser kam zum Ergebnis, die Abrechnung des Operationen- und Prozedurenschlüssel 8-98f.21 könne nicht bestätigt werden, da die Versicherte nach Rückverlegung lediglich auf der Überwachungsstation behandelt worden sei. Die Aufwandspunkte für die intensivmedizinische Komplexbehandlung könnten demgegenüber nur auf einer ausgewiesenen und therapeutisch allumfassend agierenden beziehungsweise apparatetechnisch maximal ausgestatteten Intensivstation abgerechnet werden. Außerdem hielt der Medizinische Dienstes der Krankenversicherung eine Änderung in die (höher bewertete) Hauptdiagnose A41.0 (Sepsis durch Staphylococcus aureus) und die Kürzung der Verweildauer um einen Tag für erforderlich. Nach Rückführung des gezahlten Gesamtbetrages von 36 147,31 Euro an die Beklagte reichte die Klägerin am 23. Juni 2015 eine korrigierte Rechnung auf Grundlage der Fallpauschale T36Z über nunmehr 40 638,67 Euro ein. Darin korrigierte sie die Hauptdiagnose und die Verweildauer nach den Feststellungen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung und änderte außerdem den Operationen- und Prozedurenschlüssel 8-98f.21 in den – gleich bewerteten – Operationen- und Prozedurenschlüssel 8-980.21 (Intensivmedizinische Komplexbehandlung [Basisprozedur], 829 bis 1104 Aufwandspunkte). An der Abrechnungsfähigkeit von Operationen- und Prozedurenschlüssel 8-980 für eine intensivmedizinische Behandlung hielt sie indes fest. Die Beklagte zahlte auf diese Rechnung nur 14 657,12 Euro.
Das Sozialgericht hat die Beklagte zur Zahlung des Differenzbetrags verurteilt: Die Mindestmerkmale des Operationen- und Prozedurenschlüssels 8-980.21 seien auch während der Behandlung auf der damals so genannten Intermediate Care Station erfüllt gewesen. Auf die formale Bezeichnung der Station als “Intensivstation“ komme es nicht an. Das Landessozialgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen: Die Klägerin habe den inzwischen korrigierten Operationen- und Prozedurenschlüssel 8-980.21 zutreffend kodiert. Die Mindestmerkmale des Operationen- und Prozedurenschlüssels seien erfüllt. Die Kodierfähigkeit scheitere auch nicht daran, dass die Station, auf der die Versicherte behandelt worden sei, im streitgegenständlichen Zeitraum von der Klägerin noch nicht mit der Bezeichnung “Intensivstation“ versehen gewesen sei.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 109 Absatz 4 Satz 3 Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch, § 17b Absatz 1 Krankenhausfinanzierungsgesetz, § 7 Absatz 1 Nummer 1, § 8 Absatz 2 Satz 1 in Verbindung mit § 9 Absatz 1 Nummer 1 und 3 Krankenhausentgeltgesetz sowie der Fallpauschalenvereinbarung 2013 in Verbindung mit Operationen- und Prozedurenschlüssel 8-980. Nach dem eindeutigen Wortlaut des Operationen- und Prozedurenschlüssels 8-980 müsse die Behandlung auf der “Intensivstation“ erfolgen, was hier nicht der Fall gewesen sei.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Osnabrück, S 46 KR 367/17, 13.01.2020
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, L 16/4 KR 38/20, 16.06.2023
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Terminbericht
Die Revision der Beklagten hat im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das Landessozialgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung Erfolg gehabt. Es steht auf Grundlage der Feststellungen des Landessozialgerichts nicht fest, dass der Klägerin in dem Behandlungsfall der Versicherten ein Vergütungsanspruch in Höhe von insgesamt 40 638,67 Euro gegen die Beklagte zustand. Der von der Klägerin kodierte Operationen- und Prozedurenschüssel 8-980.21 setzt voraus, dass eine “intensivmedizinische“ Komplexbehandlung stattgefunden hat. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist Intensivmedizin die Behandlung, Überwachung und Pflege von Patienten, bei denen die für das Leben notwendigen vitalen oder elementaren Funktionen von Atmung, Kreislauf, Homöostase und Stoffwechsel lebensgefährlich bedroht oder gestört sind. Ziel ist es, diese Funktionen zu erhalten, wiederherzustellen oder zu ersetzen, um Zeit für die Behandlung des Grundleidens zu gewinnen. Hieran hält der erkennende Senat weiterhin fest. Der Begriff der Intensivmedizin ist funktional an den deutlich gesteigerten Behandlungsnotwendigkeiten für die Aufrechterhaltung der akut bedrohten Überlebensfähigkeit schwer erkrankter Patienten orientiert. Es ist aber kein quantitativer Begriff. Mit dem Begriff der Intensivstation ist keine konkrete apparative oder personelle Mindestausstattung im Sinne von Strukturmerkmalen oder ein konkreter Personalschlüssel für die ärztliche oder pflegerische Tätigkeit verbunden. Gleichwohl setzt eine Intensivstation im Krankenhaus eine oder mehrere auf Dauer angelegte, separate räumlich-organisatorische Einheiten voraus, in denen die notwendigen personellen und sächlichen Mittel vorgehalten werden. Für ein notwendiges unmittelbares notfallkompetentes Eingreifen muss zumindest ein Arzt jederzeit verfügbar sein. Nicht erforderlich ist, dass jede Intensivstation alle denkbaren intensivmedizinisch zu behandelnden Fälle nach ihrer personellen und sächlichen Ausstattung bewältigen können muss. Die Ausstattung muss aber so beschaffen sein, dass sie die Aufrechterhaltung der akut bedrohten Überlebensfähigkeit schwer erkrankter Patienten nach den maßgeblichen ärztlichen Standards grundsätzlich ermöglicht. Sonstige Voraussetzungen für die Kodierung des genannten Operationen- und Prozedurenschlüssels ergeben sich aus den dort genannten Mindestmerkmalen. Der Vergütungsanspruch hängt allerdings nicht davon ab, wie die Station vom Krankenhaus konkret bezeichnet wird.
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