Verhandlung B 6 KA 9/24 R
Vertragsarztrecht - vertragsärztliche Versorgung - Feststellung - sonstiger Schaden - Prüfeinrichtung - Regress - persönliche Unterschrift - Unterschriftenstempel
Verhandlungstermin
27.08.2025 10:00 Uhr
Terminvorschau
Prof. Dr. H. S. ./. Beschwerdeausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Hessen
9 Beigeladene
Im Streit steht die Feststellung eines sonstigen Schadens, da der klagende Facharzt für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Kardiologie in den Quartalen 1/2015 bis 2/2018 Sprechstundenbedarfsverordnungen nicht persönlich unterzeichnete. Vielmehr kam ein Unterschriftenstempel (Faksimilestempel) zum Einsatz.
Auf Antrag der zu 2. beigeladenen Krankenkasse setzte die Prüfungsstelle einen Regress in Höhe von rund 490 000 Euro fest. Widerspruch und Klage sind ohne Erfolg geblieben. Das Sozialgericht hat ausgeführt, Rechtsgrundlage für die Festsetzung des sonstigen Schadens durch Verwaltungsakt sei § 48 Absatz 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte. Die Kompetenz zum Erlass dieser Vorschrift folge aus § 82 Absatz 1 SGB V in Verbindung mit § 72 Absatz 2 SGB V. Auch wenn formal keine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V vorliege, handele es sich bei einem Schaden, der im Zusammenhang mit der Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit entstehe, um eine Frage der wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten. Der Kläger habe seine vertragsärztlichen Pflichten verletzt, da er die Verordnungen nicht persönlich unterzeichnet habe. Diese Pflichtverletzung sei auch schuldhaft, mindestens fahrlässig erfolgt. Nach wertender Betrachtungsweise sei der beigeladenen Krankenkasse ein normativer Schaden entstanden. Soweit der Kläger darauf hinweise, dass alle Verordnungen medizinisch indiziert gewesen seien, sei dies unbeachtlich. Die Feststellung eines sonstigen Schadens verstoße weder gegen Treu und Glauben noch gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die Pflichtverletzung sei als gewichtig einzuschätzen. Die Unterschrift des Arztes auf einem Rezept sei kein bloß formeller Vorgang, sondern diene dem Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit der Versicherten.
Der Kläger rügt mit seiner Sprungrevision die Verletzung von Verfassungs- und Bundesrecht. Es fehle bereits an einer Rechtsgrundlage, da § 48 Bundesmantelvertrag-Ärzte verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht genüge. Zudem existiere keine gesetzliche Grundlage, welche die Zuständigkeit der Prüfgremien für die Feststellung eines sonstigen Schadens regele oder sie zum Erlass von belastenden Verwaltungsakten berechtige. Letztlich seien auch die Tatbestandvoraussetzungen für die Feststellung eines sonstigen Schadens nicht erfüllt und die Regressfestsetzung stelle sich als treuwidrig und unverhältnismäßig dar.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Marburg, S 17 KA 88/23, 03.07.2024
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Terminbericht
Die Sprungrevision des klagenden Facharztes für Innere Medizin ist ohne Erfolg geblieben. Zu Recht hat der beklagte Beschwerdeausschuss gegen den Kläger einen Regress in Höhe von rund 490 000 Euro festgesetzt, weil der Arzt Sprechstundenbedarfsverordnungen nicht persönlich unterzeichnet hat, sondern stattdessen ein Unterschriftenstempel zum Einsatz kam.
Zutreffend ist das Sozialgericht davon ausgegangen, dass Rechtsgrundlage des festgesetzten Regresses § 48 Absatz 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte in Verbindung mit § 15 der landesrechtlichen Prüfvereinbarung ist. Danach wird der sonstige durch einen Vertragsarzt verursachte Schaden, der einer Krankenkasse aus der unzulässigen Verordnung von Leistungen, die aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind, oder - wie hier - aus der fehlerhaften Ausstellung von Bescheinigungen entsteht, durch die Prüfungseinrichtungen festgestellt. Die Voraussetzungen für die Feststellung eines solchen sonstigen Schadens hat das Sozialgericht zutreffend bejaht. Der Kläger hat die für Vertragsärzte bestehende Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung verletzt. Die persönliche Unterschrift des Arztes (jetzt die qualifizierte elektronische Signatur) ist wesentlicher Bestandteil der Gültigkeit einer Verordnung. Nur mit einem Unterschriftenstempel versehene Verordnungen können diese hohen Qualitätsanforderungen und die Gewähr für die Richtigkeit und vor allem Sicherheit der Auswahl des verordneten Arzneimittels nicht erfüllen. Dem Kläger fällt hinsichtlich der Pflichtverletzung auch Verschulden zur Last, da er die Regularien der persönlichen Unterzeichnung jeglicher Art von ärztlichen Verordnungen kennen muss und diese nicht eigenmächtig ändern darf.
Der Senat hat zudem bereits entschieden, dass § 48 Absatz 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte insoweit dem Vorbehalt des Gesetzes entspricht, als er seine Grundlage in den Regelungen von § 82 Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit § 72 Absatz 2 SGB V hat, mit denen durch zulässige Delegation die Träger der Selbstverwaltung zur Normsetzung durch Verträge im Rahmen des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips ermächtigt werden. Dazu zählen auch Regelungen zur Schadensfeststellungskompetenz durch die Prüfgremien. Diese sind berechtigt, einen sonstigen Schaden durch Verwaltungsakt festzustellen.
Infolge der Pflichtverletzungen des Klägers ist der zu 2. beigeladenen Krankenkasse auch ein Schaden in der vom Beklagten festgesetzten Höhe entstanden. Anhaltspunkte dafür, dass die Verordnungen nicht eingelöst worden sind oder es zu Zurückweisungen der Verordnungen durch Apotheken gekommen wäre, liegen nicht vor. Auf den Einwand des Klägers, dass die Verordnungen jedenfalls medizinisch indiziert gewesen seien - im Sinne eines hypothetischen alternativen Geschehensablaufs - kommt es nicht an. Entgegen der Ansicht des Klägers verstößt die Festsetzung des Regresses weder gegen den Grundsatz von Treu und Glauben noch ist sie unverhältnismäßig. Der Regress entspricht der Summe der in vierzehn aufeinanderfolgenden Quartalen unrichtig ausgestellten Sprechstundenbedarfsverordnungen. Die Berücksichtigung eines Mitverschuldens der beigeladenen Krankenkasse kommt hier nicht in Betracht. Die Fehlerhaftigkeit der Verordnungen ist nicht ohne Weiteres erkennbar gewesen, so dass eine - die Schadenshöhe mindernde - frühere Antragstellung durch die Krankenkasse nicht auf der Hand liegt.
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