Verhandlung B 4 AS 8/24 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Leistungsausschluss - Unionsbürger - Arbeitnehmer - gewöhnlicher Aufenthalt - Inhaftierung im Ausland - Sozialhilfe - besondere Härte - Pandemie
Verhandlungstermin
23.09.2025 13:00 Uhr
Terminvorschau
B. P. ./. Jobcenter Köln, beigeladen: Stadt Köln
Der Kläger, ein bulgarischer Staatsangehöriger, beansprucht vom beklagten Jobcenter Arbeitslosengeld II für April bis Dezember 2020, hilfsweise Leistungen nach dem SGB XII vom beigeladenen Sozialhilfeträger.
Der 1991 geborene Kläger reiste im Juli 2011 erstmals in die Bundesrepublik ein. Er war in der Folgezeit teilweise in Deutschland gemeldet. Teilweise hielt sich der Kläger in Bulgarien auf. Ende November 2017 bis Ende Februar 2018 war er im Anschluss an eine Auslieferungshaft in Bulgarien inhaftiert. Der Kläger war vor dem Streitzeitraum in der Bundesrepublik zeitweise erwerbstätig. Auf eine Tätigkeit als Thekenkraft in der Zeit vom 15. Februar 2016 bis 31. März 2017 folgten - mit Unterbrechungen - kürzere Erwerbstätigkeiten.
Einen im April 2020 gestellten Antrag auf Arbeitslosengeld II lehnte der Beklagte ab. Der Widerspruch war erfolglos. Das Sozialgericht hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Der Kläger sei im streitigen Zeitraum von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, weil er allenfalls zur Arbeitsuche aufenthaltsberechtigt gewesen sei (§ 7 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 SGB II). Insbesondere sei er nicht (mehr) als Arbeitnehmer oder selbständig Erwerbstätiger freizügigkeitsberechtigt gewesen. Im Zeitraum ab April 2020 liege auch kein fortwirkender Arbeitnehmerstatus mehr vor. Dies gelte aufgrund der späteren Beschäftigungsaufnahmen insbesondere im Hinblick auf die mehr als ein Jahr ausgeübte Tätigkeit als Thekenkraft. Die Rückausnahme nach § 7 Absatz 1 Satz 4 SGB II für den Fall eines gewöhnlichen Aufenthalts im Bundesgebiet von mindestens fünf Jahren greife ebenfalls nicht zugunsten des Klägers ein. Die Zeit der Inhaftierung in Bulgarien stelle eine wesentliche Unterbrechung des 5-Jahres-Zeitraums mit Neubeginn nach der Wiedereinreise dar. Zuletzt habe der Kläger keinen Anspruch gegen den Beigeladenen auf Leistungen nach dem SGB XII. Eine besondere Härte sei auch unter Berücksichtigung der damals bestehenden Pandemielage nicht ersichtlich. Dieses Ergebnis sei sowohl mit Unionsrecht vereinbar als auch verfassungsgemäß.
Hiergegen richtet sich der Kläger mit seiner vom Landessozialgericht zugelassenen Revision, mit der er eine Verletzung von § 7 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2, Satz 4 SGB II, § 2 Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 FreizügG/EU und § 23 Absatz 3 Satz 3 bis 6 SGB XII rügt.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Köln, S 4 AS 3407/20, 23.11.2021
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, L 19 AS 1849/21, 11.01.2024
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Terminbericht
Die Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurückverweisung der Sache begründet. Zutreffend ist das Landessozialgericht davon ausgegangen, dass der Kläger als Unionsbürger jedenfalls nicht aufgrund eines (fortwirkenden) Arbeitnehmerstatus leistungsberechtigt nach dem SGB II ist, weil er sich nicht bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt hat. Ob der Leistungsausschluss gemäß § 7 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 SGB II auf ihn als (vormals) selbständig Erwerbstätigen keine Anwendung findet, kann derzeit dahinstehen.
Aufgrund fehlender Feststellungen des Landessozialgerichts kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob ein eventuell bestehender Leistungsausschluss im Fall des Klägers deshalb nicht greift, weil er sich vor dem Streitzeitraum für mindestens fünf Jahre im Bundesgebiet gewöhnlich aufgehalten hat. Die Feststellung des gewöhnlichen Aufenthalts erfordert eine Prognose, an der es bislang fehlt. Soweit das Landessozialgericht auf der Grundlage einer rückblickenden Betrachtung entschieden hat, dass die dreimonatige Inhaftierung des Klägers in Bulgarien den gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet unterbrochen habe, kann dies die erforderliche vorausschauende Betrachtung im Zeitpunkt der Auslieferung nicht ersetzen. Einer Entscheidung über die hilfsweise beanspruchten sozialhilferechtlichen Überbrückungsleistungen (§ 23 Absatz 3 Satz 3 bis 6 SGB XII) bedarf es vor diesem Hintergrund noch nicht. Es ist aber nicht ersichtlich, dass das Landessozialgericht das Vorliegen einer besonderen Härte rechtsfehlerhaft verneint hat.
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