Bundessozialgericht

Verhandlung B 4 AS 10/24 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Rechtsanwaltsgesellschaft - Vollmacht - Originalvollmacht - Wirksamkeit

Verhandlungstermin 23.09.2025 10:00 Uhr

Terminvorschau

S. G. ./. Jobcenter Stadt Kassel
Streitig sind die Erforderlichkeit der Vorlage einer Originalvollmacht im Vorverfahren und die Höhe der Leistungen nach dem SGB II für November und Dezember 2018.

Der Kläger wohnte im streitgegenständlichen Zeitraum mit seiner Lebensgefährtin zusammen. Das beklagte Jobcenter bewilligte dem Kläger als Mitglied dieser Bedarfsgemeinschaft Leistungen. Auf dem Konto der Lebensgefährtin des Klägers wurden sodann im November und Dezember 2018 jeweils 50 Euro gutgeschrieben. Der Beklagte hob nach Anhörung des Klägers die Bewilligung für die beiden Monate jeweils teilweise rückwirkend auf, forderte entsprechende Erstattung und erklärte die Aufrechnung gegen die laufenden Ansprüche des Klägers ab Juni 2019, weil die Zahlungen hälftig als Einkommen bei ihm anzurechnen seien. Der Kläger erhob im Mai 2019 vertreten durch die bevollmächtigte Rechtsanwaltsgesellschaft per Telefax Widerspruch. Die beigefügte Vollmacht unter anderem zur Vertretung “in sämtlichen Widerspruchsverfahren“ trug das Datum “11. Januar 2019“ und schloss mit einer Unterschrift. Der Beklagte forderte die Bevollmächtigte unter Fristsetzung auf, eine Originalvollmacht vorzulegen, und kündigte an, bei Nichtvorlage “nach Aktenlage“ zu entscheiden. Nach Fristablauf verwarf er den Widerspruch mangels Bevollmächtigung als unzulässig.

Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen, das Landessozialgericht die von ihm zugelassene Berufung zurückgewiesen, weil der Beklagte den Widerspruch zu Recht mangels schriftlichen Nachweises der Vollmacht als unzulässig verworfen habe.

Mit seiner vom Landessozialgericht zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 13 Absatz 1 SGB X. Der Beklagte dürfe grundsätzlich keine Vollmacht im Original anfordern. Wie im gerichtlichen Verfahren sei nur bei begründeten Zweifeln oder auf Rüge eines Beteiligten die Vollmacht zu überprüfen.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Kassel, S 14 AS 399/19, 13.07.2023
Hessisches Landessozialgericht, L 6 AS 8/24, 28.02.2024

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 28/25.

Terminbericht

Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg. Der Beklagte hat den Widerspruch zu Recht wegen nicht schriftlich nachgewiesener Vollmacht als unzulässig verworfen.

Die Vollmacht war nicht bereits durch die mit dem Widerspruch per Telefax übermittelte Vollmachtsurkunde schriftlich nachgewiesen, denn hierdurch erhielt der Beklagte nur eine Kopie. Auf ein Verlangen nach § 13 Absatz 1 Satz 3 SGB X ist jedoch ein Nachweis der Bevollmächtigung im Original vorzulegen. Das von einer Privatperson ausgestellte Dokument ist eine Urkunde, die nur dann den vollen Beweis dafür erbringen kann, dass die in ihr enthaltene Erklärung von dem Aussteller abgegeben ist (§ 416 ZPO), wenn sie im Original vorgelegt wird (§ 420 ZPO). Die Grundsätze des prozessualen Schriftformerfordernisses bei bestimmenden und fristgebundenen Schriftsätzen, welchem bereits durch Telefax genügt wird, gelten hier nicht.

Das Verlangen des Beklagten nach einem schriftlichen Nachweis war nicht ausgeschlossen, weil ein Rechtsanwalt als Bevollmächtigter auftrat. Eine § 73 Absatz 6 Satz 5 SGG entsprechende Privilegierung sieht § 13 Absatz 1 SGB X nicht vor. Das Verlangen hat auch die Grenzen des dem Beklagten zustehenden Verfahrensermessens gewahrt. Da besondere Vorschriften nicht bestehen, ist dieses an den allgemeinen Vorgaben des § 9 Satz 2 SGB X (einfache, zweckmäßige und zügige Verfahrensdurchführung) und allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen auszurichten. Zugleich ist bei der Ausübung des Verfahrensermessens der Untersuchungsgrundsatz (§ 20 SGB X) zu beachten, wonach die Behörde den Sachverhalt von Amts wegen ermittelt und alle für den Einzelfall bedeutsamen Umstände zu berücksichtigen hat.

Nach diesen Maßstäben ist das Nachweisverlangen der Beklagten schon deshalb nicht zu beanstanden, weil berechtigte Zweifel an der Bevollmächtigung für das konkrete Verfahren bestanden. Die Bevollmächtigte hatte in der Vergangenheit verschiedene, teilweise nicht unterzeichnete Vollmachten vorgelegt. Zugleich hatte sie in vier Vorverfahren, die zum Ausstellungszeitpunkt der Vollmacht am “11. Januar 2019“ noch nicht abgeschlossen waren, diese Vollmacht zur Vertretung “in sämtlichen Widerspruchsverfahren“ nicht vorgelegt, obwohl jeweils die Verwerfung des Widerspruchs mangels nachgewiesener Vollmacht drohte. Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte von sachfremden Erwägungen ausgegangen ist oder seine Entscheidung auf einer Fehleinschätzung beruht, sind nicht ersichtlich.

Auch im Übrigen ist das Nachweisverlangen nicht zu beanstanden. Es enthielt eine klare Handlungsaufforderung an die Bevollmächtigte mit angemessener Frist und wies noch ausreichend auf die Rechtsfolge bei Nichtvorlage hin. Die unterbliebene Vorlage ist zudem nicht nachgeholt worden.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 28/25.

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