Verhandlung B 5 R 15/24 R
Rentenversicherung - teilweise Aufhebung - Rente wegen voller Erwerbsminderung - Überstundenabgeltung - Arbeitsentgelt - Hinzuverdienst - Überzahlung - Kongruenz
Verhandlungstermin
25.09.2025 12:15 Uhr
Terminvorschau
P. Sch. ./. Deutsche Rentenversicherung Bund
Die Beteiligten streiten um die teilweise Aufhebung der Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung für den Zeitraum vom 1. Juli 2021 bis zum 31. Dezember 2021 wegen Überstundenabgeltung als Hinzuverdienst.
Die Klägerin war Sachbearbeiterin bei einer Bank. Im Anstellungsvertrag war geregelt, dass bei vorzeitigem Eintritt von Erwerbs- und Berufsunfähigkeit das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Monats, der dem Monat der Rentenzahlung vorausgeht, endet. Die Beklagte bewilligte der Klägerin ab dem 1. Dezember 2019 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung (Bescheid vom 22. März 2021). Die Rente wurde ab dem 1. Mai 2021 laufend monatlich gezahlt. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. April 2021 nahm die Arbeitgeberin eine Abgeltung der Überstunden vor, die die Klägerin auf einem “Langzeitkonto“ und einem “Dispositionskonto“ angesammelt hatte. Daraufhin hob die Beklagte den Bescheid vom 22. März 2021 hinsichtlich der Rentenhöhe ab 1. Juli 2021 auf, berechnete die Rente neu, berücksichtigte die Überstundenabgeltung in Höhe der ausgewiesenen Brutto-Beträge als Hinzuverdienst und zahlte der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum eine anteilig gekürzte Rente (Bescheid vom 30. Juni 2021).
Während des Klageverfahrens hat die Beklagte mit Bescheid vom 13. Mai 2022 die Rente ab dem 1. Januar 2021 neu berechnet und dabei für den Zeitraum vom 1. Januar 2021 bis zum 30. Juni 2021 eine wegen Hinzuverdienst von der Klägerin noch zu erstattende Überzahlung festgestellt. Für den hier streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Juli 2021 bis zum 31. Dezember 2021 blieb die Rentenhöhe hingegen unverändert. Das Sozialgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht zurückgewiesen. Der Bescheid vom 13. Mai 2022 sei nicht Gegenstand des Klageverfahrens geworden, weil dieser nur die Anrechnung von Hinzuverdienst für den Zeitraum vom 1. Januar 2021 bis zum 30. Juni 2021 geregelt habe. Die Überstundenabgeltung sei zwar Arbeitsentgelt, jedoch kein rentenschädlicher Hinzuverdienst. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung sei hierfür nicht nur erforderlich, dass der Hinzuverdienst der versicherten Person tatsächlich während des Rentenbezugs zugeflossen sei, sondern rechtlich einer Beschäftigung zugeordnet werden könne, die während des Rentenbezugs (fort-)bestanden habe. Das Erfordernis der zeitlich-rechtlichen Kongruenz müsse auch nach der Neuregelung des § 96a SGB VI zum 1. Juli 2017 durch das Flexirentengesetz erfüllt sein. Diese bestehe hier nicht, weil die Klägerin die Überstunden bereits vor Rentenbeginn angesammelt habe. Die Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Urlaubsabgeltung als Hinzuverdienst sei nicht übertragbar.
Mit ihrer vom Landessozialgericht zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 96a SGB VI. Die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung zur zeitlich-rechtlichen Kongruenz bei Hinzuverdienst sei zur Vorgängervorschrift ergangen. Auf die ab dem 1. Juli 2017 durch das Flexirentengesetz erfolgte Neuregelung sei sie nicht weiter anwendbar. Maßgeblich sei ausschließlich, ob Arbeitsentgelt während des Rentenbezugs vorliege.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Halle, S 13 R 48/21, 03.11.2022
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, L 3 R 325/22, 28.11.2024
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Terminbericht
Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Soweit sich die Klage gegen den Bescheid vom 30. Juni 2021 gerichtet hat, geht sie inzwischen ins Leere. Entgegen der Ansicht des Landessozialgerichts hat der Bescheid der Beklagten vom 13. Mai 2022 den ursprünglich angefochtenen Bescheid vom 30. Juni 2021 ersetzt. Er enthält eine vollständige Neuberechnung der Rente der Klägerin wegen ihres Hinzuverdienstes für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2021, die ohne Änderung der Rentenhöhe auch den hier streitgegenständlichen Zeitraum umfasst. Selbst wenn ausnahmsweise von Amts wegen in der Revisionsinstanz über dessen inhaltliche Richtigkeit zu entscheiden wäre, würde sich der Bescheid vom 13. Mai 2022 als rechtmäßig erweisen und die Klägerin mit ihrem Begehren nicht obsiegen.
Bei der streitbefangenen Überstundenabgeltung handelt es sich um Arbeitsentgelt, das grundsätzlich als Hinzuverdienst zu berücksichtigen ist. Es ist der Klägerin auch nach Rentenbeginn zugeflossen. Nach der Betriebsvereinbarung der Arbeitgeberin der Klägerin waren Überstunden grundsätzlich in Freizeit auszugleichen. Erst mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses (“als Störfall“) war eine Abgeltung in Geld vorgesehen. Damit ist der Anspruch der Klägerin auf Überstundenabgeltung mit der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses am 30. April 2021 entstanden und somit nach Beginn der von der Beklagten rückwirkend zum 1. Dezember 2019 bewilligten Rente. Diese Überstundenabgeltung kann einem noch während des Rentenbezugs bestehenden Beschäftigungsverhältnis der Klägerin zugeordnet werden (zeitlich-rechtliche Kongruenz). Hierfür ist nicht entscheidend, wann die Überstunden durch die Klägerin angesammelt (“erdient“) wurden. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Anspruchsentstehung am 30. April 2021. Zu diesem Zeitpunkt bestand noch das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin. Dem steht ihre zuvor bereits bestehende dauerhafte Arbeitsunfähigkeit nicht entgegen. Anhaltspunkte für ein Ruhen ihres Arbeitsverhältnisses, das zu einer Unterbrechung oder Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses hätte führen können, bestehen nicht.
An dem Erfordernis einer zeitlich-rechtlichen Kongruenz ist auch nach der durch das Flexirentengesetz erfolgten Neuregelung des § 96a SGB VI zum 1. Juli 2017 festzuhalten. Die Streichung des zuvor noch in § 96a Absatz 1 Satz 2 SGB VI alte Fassung enthaltenen Tatbestandmerkmals “Arbeitsentgelt (…) aus einer Beschäftigung“ erfolgte ausweislich der Gesetzesmaterialien lediglich zur Klarstellung, dass es für die Berücksichtigung von Arbeitsentgelt als rentenschädlicher Hinzuverdienst nicht darauf ankommt, ob eine Beschäftigung tatsächlich ausgeübt wird. § 96a SGB VI steht im Unterabschnitt “Zusammentreffen von Renten und Einkünften“ und zielt unverändert auf die Vermeidung einer Übersicherung des Versicherten durch den gleichzeitigen Bezug von Arbeitsentgelt und einer als Arbeitsentgeltersatz konzipierten Rente wegen Erwerbsminderung ab. Gesetzeszweck der Neuregelung war es, ältere Beschäftigte möglichst lange im Erwerbsleben zu halten sowie den Übergang in den Ruhestand und dabei die Möglichkeit zu verbessern, vor Erreichen der Regelaltersgrenze eine Teilzeitarbeit durch eine Teilrente zu ergänzen. Der Hinzuverdienst sollte - auch für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit - im Rahmen einer Jahresbetrachtung stufenlos bei der Rente berücksichtigt werden.
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