Verhandlung B 3 KR 4/24 R
Krankenversicherung - Arzneimittelversorgung - Apothekenvergütung - Retaxierung - Herstellung nicht verschreibungspflichtiges Rezepturarzneimittel - Packungsgröße - Fertigarzneimittel
Verhandlungstermin
13.11.2025 14:30 Uhr
Terminvorschau
Dr. A. L. ./. AOK NordWest - Die Gesundheitskasse
Im Streit steht der Anspruch auf Vergütung für die Abgabe von Rezepturarzneimitteln.
Der klagende Apotheker gab 2018 und 2019 auf ärztliche Verordnungen von ihm hergestellte Zubereitungen aus Stoffen und Fertigarzneimitteln für versicherte Kinder bis zum vollendeten 12. Lebensjahr ab, rechnete diese ab und erhielt sie von der beklagten Krankenkasse zunächst vergütet. Der Abrechnung der nicht verschreibungspflichtigen Rezepturarzneimittel lag jeweils der Einkaufspreis für das verwendete Fertigarzneimittel in der geringsten Packungsgröße und teilweise zudem der Einkaufspreis für den verwendeten Stoff in der üblichen Abpackung, die für die jeweilige Zubereitung mengenmäßig erforderlich waren, nebst Zuschlägen zugrunde. Zur Herstellung der Rezepturarzneimittel benötigte der Kläger jeweils geringere als diese Verpackungsmengen. Die Beklagte beanstandete die vergüteten streitigen Abrechnungen (Retaxation) und rechnete 2019 und 2020 die beanstandeten Abrechnungen gegen spätere unstreitige Vergütungsforderungen des Klägers auf. Sie hat zuletzt geltend gemacht, nach der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) seien Einkaufspreise nur jeweils entsprechend der tatsächlich verarbeiteten Menge anteilig im Verhältnis zu den Einkaufspreisen der üblichen Abpackung und erforderlichen Packungsgröße zu berücksichtigen und hierauf Zuschläge zu erheben gewesen; die darüber hinausgehende Vergütung der jeweils abgerechneten Rezepturarzneimittel sei zu retaxieren gewesen.
Das Sozialgericht hat der auf Zahlung einbehaltener Vergütung von 112,06 Euro nebst Zinsen gerichteten Klage stattgegeben. Das Landessozialgericht hat - nach teilweiser Klage- wie Berufungsrücknahme - die von ihm zugelassene Berufung zurückgewiesen: Der Kläger habe für die streitigen Abrechnungen einen Vergütungsanspruch in der zuletzt noch streitigen Höhe. Zu Unrecht gehe die Beklagte davon aus, dass er bei der Abrechnung des Preises für die Rezepturarzneimittel nicht jeweils die Einkaufspreise der kleinsten erhältlichen Menge verwendeter Stoffe und Fertigarzneimittel habe ansetzen dürfen, sondern nur einen Anteil dieser Preise, der der jeweils verordnungsgemäß tatsächlich verbrauchten Menge entspreche. Die Auslegung des hier anwendbaren § 5 Absatz 2 AMPreisV anhand der allgemeinen Auslegungsgrundsätze ergebe, dass bei der Abrechnung von Rezepturarzneimitteln vom Einkaufspreis der üblichen Abpackung eines verwendeten Stoffs und der erforderlichen Packungsgröße eines verwendeten Fertigarzneimittels auch dann auszugehen sei, wenn bei der Zubereitung der Inhalt der üblichen Abpackung und der erforderlichen Packungsgröße nicht vollständig verbraucht werde. Die Einkaufspreise seien dann nicht auf die tatsächlich benötigte Menge herunterzurechnen. Aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot folge nichts anderes.
Mit ihrer vom Landessozialgericht zugelassenen Revision rügt die Beklagte - unter weiterer Reduzierung ihrer Beanstandung auf 89,38 Euro - die Verletzung von § 5 Absatz 2 AMPreisV. Als Berechnungsgrundlage für den Preis des Rezepturarzneimittels sei nach dieser Vorschrift der Einkaufspreis der für die Zubereitung jeweils benötigten Menge maßgebend. Dieser ergebe sich aus dem Verhältnis der verwendeten Menge zu der in der hierfür üblichen Abpackung und erforderlichen Packungsgröße enthaltenen Menge und sei dem Festzuschlag auf die Apothekeneinkaufspreise zugrunde zu legen. Nur diese Auslegung berücksichtige den Umstand, dass die Anbrüche von Packungen, aus denen nur ein Teil verwendet worden sei, in weiteren Rezepturarzneimitteln verwendet werden könnten und regelmäßig auch tatsächlich verwendet würden.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Münster, S 9 KR 679/20, 03.11.2021
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, L 10 KR 701/22, 17.01.2024
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Terminbericht
Die Revision war erfolglos. Zu Recht haben die Vorinstanzen für die Vergütung der Abgabe von Rezepturarzneimitteln an den Apothekeneinkaufspreisen der Verpackungen angeknüpft, die für die Zubereitungen jeweils mindestens erforderlich waren. Ausgehend hiervon konnte der Kläger die abgerechneten Vergütungen beanspruchen und steht der Beklagten ein Erstattungsanspruch für rechtsgrundlos geleistete Vergütungen nicht zu.
Auf die streitigen Abrechnungen von Rezepturarzneimitteln findet die Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) Anwendung. Nach § 5 Absatz 1 Nummer 1 AMPreisV ist bei der Abgabe einer Zubereitung aus einem Stoff oder mehreren Stoffen, die in Apotheken angefertigt wird, ein Festzuschlag von 90% auf die Apothekeneinkaufspreise ohne Umsatzsteuer für Stoffe und erforderliche Verpackung zu erheben. Auszugehen ist von den Apothekeneinkaufspreisen der für die Zubereitung erforderlichen Mengen an Stoffen und Fertigarzneimitteln (§ 5 Absatz 2 Satz 1 AMPreisV). Maßgebend ist bei Stoffen der Einkaufspreis der üblichen Abpackung und bei Fertigarzneimitteln der Einkaufspreis der erforderlichen Packungsgröße (§ 5 Absatz 2 Satz 2 AMPreisV).
Ausgangspunkt für den Festzuschlag auf die Apothekeneinkaufspreise der für die Zubereitung verwendeten Stoffe und Fertigarzneimittel sind deren für die verordnete Zubereitung jeweils erforderlichen Mengen. Diese Zubereitungsmengen entsprechen hier nicht den Mengen in der üblichen Abpackung beziehungsweise geringsten Packungsgröße der verwendeten Stoffe und Fertigarzneimittel, sondern sind geringer als die in diesen Verpackungen enthaltenen Mengen. Gleichwohl knüpft § 5 Absatz 2 AMPreisV in Gestalt einer abstrakten Preisberechnungsregelung als Grundlage für den Festzuschlag allein maßgebend an den Einkaufspreisen der Packungen an, die mindestens erforderlich waren, um die für die Zubereitung konkret verordneten Mengen zu erhalten. Nur für diese erhältlichen Packungsgrößen gelten ohne Weiteres feststellbare Apothekeneinkaufspreise. Der Regelung des § 5 Absatz 2 AMPreisV kann dagegen nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnommen werden, dass abweichend hiervon bezogen auf die konkret erforderliche zu verwendende Menge rechnerisch erst zu ermittelnde Preise, die nicht den Apothekeneinkaufspreisen erhältlicher Packungsgrößen entsprechen, maßgebend für den Festzuschlag sein sollen. Eine solche allein mengenbezogene konkrete Preisberechnung entspricht nicht Wortlaut und Systematik des § 5 Absatz 2 AMPreisV, die an Apothekeneinkaufspreisen und damit an Abgabepreisen pharmazeutischer Unternehmer für erhältliche Packungsgrößen anknüpfen statt an konkret verwendeten Teilmengen dieser Packungen. Eine derartige Berechnung ließe sich zwar auf der Grundlage des § 5 Absatz 4 AMPreisV vertraglich vereinbaren (“Apothekeneinkaufspreise, die der Berechnung zugrunde gelegt worden sollen“; “Festzuschlag … abweichend von den Absätzen 1 und 2 auf diese Preise“), sie war für die hier verwendeten Stoffe und Fertigarzneimittel aber nicht vereinbart worden. Auch Aussagen zur preisrechtlichen Bedeutung von Anbrüchen und deren Haltbarkeit sowie von Verwürfen lassen sich § 5 Absatz 2 AMPreisV nicht entnehmen.
Anderes folgt nicht aus dem Sinn und Zweck dieser Abrechnungsregelung. Die auch im Interesse der Vereinfachung ergangene Regelung der AMPreisV erfüllt diesen Zweck eher, wenn an ohne Weiteres feststellbaren Preisen erhältlicher Packungen angeknüpft wird statt an rechnerisch erst zu ermittelnden Preisen. Anderes folgt hier auch nicht aus dem allgemeinen Wirtschaftlichkeitsgebot. Allein aus diesem lässt sich nicht ableiten, ein wirtschaftlicher Grundsatz der mengenbezogenen Vergütung hindere die Anknüpfung an den Einkaufspreisen für die erhältlichen Packungen, die zumindest die für die Zubereitung erforderlichen Mengen enthalten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die AMPreisV ihrerseits ihrer Konzeption nach auf die Ausgabenregulierung ausgerichtet ist, der nicht nur auf eine bestimmte Art und Weise Rechnung getragen werden kann. Soweit die durch § 5 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 AMPreisV getroffene abstrakte Preis-berechnungsregelung aus Sicht der Krankenkassen dem Wirtschaftlichkeitsgebot nicht hinreichend konkret Rechnung trägt, bedarf es vor diesem Hintergrund entweder hiervon abweichender vertraglicher Vereinbarungen über rechnerisch ermittelte (fiktive) Einkaufspreise oder einer geänderten Rechtsverordnungsregelung. Dies kann durch gerichtliche Auslegung der Verordnungsregelung nicht ersetzt werden.
Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 34/25.