Bundessozialgericht

Verhandlung B 3 KR 17/23 R

Krankenversicherung - Hilfsmittelversorgung - Hilfsmittelverzeichnis - Aufnahme -Bewegungsschiene - motorbetriebene passive Bewegung - Knie

Verhandlungstermin 13.11.2025 13:00 Uhr

Terminvorschau

O. GmbH ./. GKV-Spitzenverband
Im Streit steht die Aufnahme einer Bewegungsschiene, begrenzt auf den Einsatz zur motorbetriebenen passiven Bewegung des Knies, in das Hilfsmittelverzeichnis.

Die Klägerin beantragte 2013 die Aufnahme der von ihr hergestellten und vertriebenen Bewegungsschiene als Hilfsmittel in das Hilfsmittelverzeichnis. Mit der Schiene kann ein Knie - je nach Einsatz einer entsprechenden Chipkarte - sowohl aktiv (CAM) als auch passiv (CPM) bewegt werden. Zudem kann die Bewegungsschiene der Koordinationstherapie dienen. Der Aufnahmeantrag beschränkte sich auf den Einsatz der Schiene zur motorbetriebenen passiven Bewegung des Knies. Der Beklagte lehnte den Antrag insbesondere deshalb ab, weil die Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis nicht auf einzelne Funktionen des Kombinationsgeräts als ein einheitliches Hilfsmittel beschränkt werden könne, weshalb auch der medizinische Nutzen für den Einsatz zur aktiven Bewegung hätte nachgewiesen sein müssen.

Das Sozialgericht hat die 2016 erhobene Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht hat die Berufung der Klägerin 2023 zurückgewiesen: Biete ein Hersteller ein Hilfsmittel an, das - wie hier - über mehrere Funktionen verfüge, sei § 139 SGB V dahin auszulegen, dass die Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis den Nachweis des medizinischen Nutzens hinsichtlich sämtlicher angebotener Funktionen voraussetze; denn ein Hilfsmittel sei nur insgesamt als Produkt aufnahmefähig, nicht aber bezogen nur auf einzelne Funktionen. Eine Beschränkung der Aufnahme komme nach dem Gesetz lediglich bezogen auf bestimmte Indikationen in Betracht. Die Klägerin habe indes nicht den medizinischen Nutzen aller Funktionen der auf dem Markt angebotenen und beworbenen Kniebewegungsschiene nachgewiesen. Ein Nutzennachweis als CAM-Schiene scheitere schon daran, dass es sich bei der aktiven Bewegung um eine neue Behandlungsmethode handele, für die eine Richtlinienempfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht vorliege.

Mit ihrer vom Landessozialgericht zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§ 139 SGB V und die allgemein anerkannten Auslegungsgrundsätze). Die Auslegung des Berufungsgerichts stehe im Widerspruch insbesondere zu § 139 Absatz 4 Satz 8 SGB V, wonach die Aufnahme eines Hilfsmittels in das Hilfsmittelverzeichnis auf bestimmte Indikationen beschränkt werden könne. Ein Hilfsmittel, das für verschiedene Indikationen eingesetzt werden könne, das also multifunktional sei, sei gleichwohl ein eintragungsfähiges Hilfsmittel. Ergänzend sei hier darauf hinzuweisen, dass durch die Ausrüstung nur mit der entsprechenden Chipkarte die Schiene ausschließlich für die passive Bewegung eingesetzt werden könne. Der medizinische Nutzen als CPM-Schiene sei nachgewiesen.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Berlin, S 71 KR 1576/16, 22.02.2019
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, L 16 KR 111/19, 22.11.2023

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 34/25.

Terminbericht

Die Revision war erfolglos. Zu Recht haben die Vorinstanzen einen Anspruch der Klägerin auf die beantragte Aufnahme eines von ihr hergestellten Hilfsmittels in das Hilfsmittelverzeichnis abgelehnt.

Nach § 139 SGB V erstellt der beklagte GKV-Spitzenverband ein Hilfsmittelverzeichnis, in dem von der Leistungspflicht umfasste Hilfsmittel aufzuführen sind (Absatz 1 Satz 1 und 2). Das Hilfsmittel ist aufzunehmen, wenn die vom Hersteller nachzuweisenden Voraussetzungen nach Absatz 4 erfüllt sind. Hat der Hersteller Nachweise nur für bestimmte Indikationen erbracht, ist die Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis auf diese Indikationen zu beschränken (Absatz 4 Satz 8).

Schon diese grundsätzlich auf “das“ Hilfsmittel bezogenen Regelungen zeigen an, dass ein einheitliches, aber multifunktionales Hilfsmittel nur insgesamt mit allen seinen Funktionen (technische Betriebsarten beziehungsweise Einsatzmöglichkeiten) aufgenommen werden kann. Eine Differenzierung kennt das Gesetz nur mit Blick auf Indikationen (medizinische Anwendungsgebiete), nicht mit Blick auf Funktionen. Soweit im Hilfsmittelverzeichnis neben indikations- auch einsatzbezogen besondere Qualitätsanforderungen für Hilfsmittel festgelegt werden können (§ 139 Absatz 2 Satz 1 SGB V), ändert dies nichts an der Aufnahmefähigkeit eines einheitlichen Hilfsmittels nur insgesamt mit allen seinen auf eine Indikation bezogenen Funktionen; lediglich für die Qualitätsanforderungen an ein aufgenommenes Hilfsmittel kann zwischen seinen Einsatzmöglichkeiten differenziert werden. Die Aufnahme eines einheitlichen multifunktionalen Hilfsmittels erfordert den Nachweis der Aufnahmevoraussetzungen für alle seine Funktionen.

Für dieses im Wortlaut und in der Systematik des § 139 SGB V angelegte produkt- und nicht funktionsbezogene Verständnis spricht zudem die Steuerungsfunktion, die dem zu publizierenden Hilfsmittelverzeichnis für die Hilfsmittelversorgung im Rahmen der gesetzlichen Kranken-versicherung zukommt, auch wenn es keine abschließende Positivliste für den Versorgungs-anspruch ist. Die Aufnahme eines Hilfsmittels in das Verzeichnis zeigt an, dass es den Prüfungsprozess nach § 139 SGB V durchlaufen hat und alle Voraussetzungen für die Aufnahme des Produkts erfüllt. Das Hilfsmittelverzeichnis kann mit der berechtigten Erwartung genutzt werden, dass aufgenommene multifunktionale Hilfsmittel mit allen ihren Funktionen diesen Prozess durchlaufen haben, die Voraussetzungen erfüllen und hinsichtlich aller ihrer Funktionen von der Leistungspflicht umfasst sind. Ein auf nur eine Funktion beschränkter Antrag für ein Hilfsmittel, das bezogen auf eine Indikation mehrere Funktionen in sich vereint, kann vor diesem Hintergrund nach derzeitiger Gesetzeslage nicht zur Aufnahme des Hilfsmittels in das Hilfsmittelverzeichnis führen. Dies vermeidet den Anschein, dass es hinsichtlich aller Funktionen aufgrund einer Prüfung von der Leistungspflicht umfasst ist.

Ausgehend hiervon besteht kein Anspruch der Klägerin auf die beantragte Aufnahme der Bewegungsschiene “ARTROMOT® ACTIVE-K“ für die Indikation “Interventionen am Knie“ nur für deren Einsatz zur motorbetriebenen passiven Bewegung des Knies (CPM). Der Antrag erfasst nicht den Einsatz dieses Hilfsmittels zur aktiven Bewegung des Knies (CAM) und auch nicht zur Koordinationstherapie, obgleich das Hilfsmittel auch diese Funktionen bietet. Dass die Funktionen des einheitlichen Hilfsmittels durch die Verwendung entsprechender Chipkarten getrennt angesteuert werden können, macht aus dem einen multifunktionalen Hilfsmittel nicht tatsächlich verschiedene Hilfsmittel, die hinsichtlich ihrer Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis rechtlich unterschiedlich behandelt werden könnten. Dem steht auch entgegen, dass es unter der genannten Bezeichnung nur ein Produkt gibt, für das es nur eine Artikelnummer gibt; weder die Bezeichnung, unter der das Hilfsmittel angeboten und beworben wird, noch dessen Artikelnummer differenzieren nach den Funktionen der Bewegungsschiene. Aufgrund der Produkt- und nicht der Funktionsbezogenheit des Hilfsmittelverzeichnisses kann die begehrte Teilaufnahme des Hilfsmittels nur für seine CPM-Funktion nicht beansprucht werden, obgleich es sich bei diesem Einsatz des Hilfsmittels um den untrennbaren Bestandteil einer Behandlungsmethode handelt, die nach dem Gemeinsamen Bundesausschuss zulasten der Krankenkassen erbracht werden darf. Eine - nicht beantragte - Aufnahme des Hilfsmittels mit allen seinen Funktionen würde indes daran scheitern, dass es sich bei dem Einsatz des Hilfsmittels mit seiner CAM-Funktion um den untrennbaren Bestandteil einer neuen Behandlungsmethode handelt, die nach einem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht als vertragsärztliche Leistung zulasten der Krankenkassen erbracht werden darf.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 34/25.

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