Verhandlung B 12 BA 2/23 R
Versicherungs- und Beitragsrecht - Sozialversicherungspflicht - Sozialversicherungsfreiheit - Fluglehrer - Instruktor - Flugsimulator
Verhandlungstermin
13.11.2025 13:45 Uhr
Terminvorschau
1. L. GmbH, 2. C. N. ./. Deutsche Rentenversicherung Bund
1 Beigeladene
Die Klägerin bietet Trainingsdienstleistungen im Bereich der Pilotenausbildung und Piloten-Lizenzierung an. Sie ist eine Approved Training Organisation und durch das Luftfahrtbundesamt entsprechend lizenziert. Neben vier festangestellten Mitarbeitern, die in den Betriebsablauf der Approved Training Organisation eingebunden sein müssen (Ausbildungsleiter, stellvertretender Ausbildungsleiter, typenspezifische Chef-Fluglehrer), sind rund 300 Fluglehrer für sie tätig.
Der Kläger arbeitete bis April 2016 als Flugkapitän. Auf der Grundlage erworbener Lizenzen sowie eines Instruktor-Vertrags und später eines Dienstleistungsvertrags war er für die Klägerin seit Juni 2016 als Trainer für Simulationsflüge tätig. Dabei hatte er inhaltliche Gestaltungsspielräume. In unregelmäßigen Abständen, aber nicht häufiger als einmal jährlich, veranlasste die Klägerin eine Evaluation durch einen erfahrenen Instruktor. Letztlich war dem Ausbildungsleiter der Klägerin die Verantwortung für das Training und die Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen einer Trainingseinheit übertragen. Die Beklagte stellte gegenüber den Klägern die Versicherungspflicht des Klägers aufgrund Beschäftigung in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung fest.
Das Sozialgericht hat die Klagen abgewiesen. Das Landessozialgericht hat die Berufungen zurückgewiesen. Dass die Beklagte seit dem 1. April 2022 nicht mehr befugt sei, im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahren Versicherungspflicht festzustellen, ändere an der Rechtmäßigkeit der zuvor erlassenen Verwaltungsakte nichts. Der Kläger sei in die Betriebsabläufe der Klägerin eingegliedert und damit beschäftigt gewesen.
Mit ihren Revisionen rügen die Kläger eine Verletzung von § 7 SGB IV. Das Landessozialgericht habe die einzuhaltenden Regularien nicht hinreichend berücksichtigt. Die durchaus detaillierten Vorgaben zur Durchführung der Tätigkeit gingen nicht von der Klägerin aus, sondern seien insbesondere den nicht von ihr beeinflussbaren Umständen, vor allem den luftfahrtrechtlichen Maßgaben geschuldet. Die rechtlich vorgesehene jährliche Hospitanz bei einer Flugstunde sei lediglich als Qualitätskontrolle zu betrachten. Die Pflicht zur Nutzung eines Flugsimulators sei der Art der Tätigkeit geschuldet. Im Revisionsverfahren hat der Kläger erklärt, dass er "ausdrücklich im Sinne von § 127 Absatz 1 Nummer 2 SGB IV nF" zustimme.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Berlin, S 36 KR 820/17, 14.06.2019
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, L 1 BA 67/19, 13.01.2023
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Terminbericht
Die Revisionen der Kläger sind überwiegend erfolgreich gewesen. Die Beklagte hat zu Unrecht die Versicherungspflicht des Klägers aufgrund Beschäftigung in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht für Arbeitsförderung an den Einsatztagen für die Klägerin festgestellt.
An den Einsatztagen war der Kläger zwar abhängig beschäftigt. Er war in den Schulungsbetrieb der Klägerin eingegliedert. Seine Lehrtätigkeit war essentieller und notwendig-integraler Bestandteil der von der Klägerin gegenüber den Luftfahrtgesellschaften angebotenen Dienstleistungen. Für eine selbstständige Tätigkeit sprechende Indizien treten demgegenüber zurück. Bei seiner Tätigkeit für die Klägerin hatte der Kläger nahezu keine unternehmerischen Freiheiten. Der Einwand der Kläger, die Regulierung der Schulungstätigkeit gehe nicht auf eine freie Organisationsentscheidung der Klägerin zurück, sondern sei vor allem den einschlägigen luftfahrtrechtlichen Bestimmungen geschuldet, ändert an der festgestellten Eingliederung des Klägers nichts. Der Senat hat wiederholt entschieden, dass im Rahmen der Eingliederung grundsätzlich auch Rahmenvereinbarungen, regulatorische Rahmenbedingungen oder "in der Natur der Sache" liegende Umstände zu berücksichtigen sind.
Gleichwohl war die Feststellung der Versicherungspflicht aufzuheben. Sie tritt wegen der "Übergangsregelung" des § 127 Absatz 1 Satz 1 SGB IV erst ab dem 1. Januar 2027 ein. Die am 1. März 2025 in Kraft getretene Vorschrift ist auf den vorliegenden Fall anwendbar. Das folgt in erster Linie aus dem Gesetzeszweck. Der Gesetzgeber hielt es ausnahmsweise für gerechtfertigt, "für einen begrenzten Zeitraum von einer ansonsten zwingenden Nachforderung von Sozialbeiträgen abzusehen", weil sich Bildungseinrichtungen "zum Teil hohen Nachforderungen von Sozialversicherungsausgaben" ausgesetzt und daher in ihrer Existenz gefährdet sahen, dem Bildungsbereich aber eine herausragende gesamtgesellschaftliche Bedeutung beizumessen sei. Dieses Ziel würde bei einer Beschränkung der "Übergangsregelung" auf seit 1. März 2025 getroffene Feststellungen verfehlt.
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 127 Absatz 1 Satz 1 SGB IV sind erfüllt: Der Kläger hat eine Lehrtätigkeit verrichtet. Die Beklagte hat im Statusfeststellungsverfahren Beschäftigung angenommen. Die Kläger sind übereinstimmend von einer selbstständigen Tätigkeit ausgegangen. Zudem hat der Kläger dem Hinausschieben der Versicherungspflicht aufgrund Beschäftigung wirksam zugestimmt. § 127 Absatz 1 Satz 1 SGB IV schließt eine im Revisionsverfahren erklärte Zustimmung nicht aus.
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