Bundessozialgericht

Verhandlung B 4 AS 28/24 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Unterkunft und Heizung - angemessene Unterkunftskosten - Verfügbarkeit - angemessener Wohnraum - Berlin

Verhandlungstermin 27.11.2025 12:00 Uhr

Terminvorschau

S. L. ./. Jobcenter Berlin Neukölln
Streitig ist, ob dem Kläger höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung zustehen, als in den Ausführungsvorschriften der Berliner Senatsverwaltung (AV-Wohnen 2015) vorgesehen.

Der Kläger bewohnte im streitigen Zeitraum von Juli 2015 bis Juni 2016 eine 63 qm große Zweizimmerwohnung in Berlin. Seine monatliche Gesamtmiete von 584,08 Euro lag seit langem deutlich über den vom beklagten Jobcenter als angemessen angesehenen Kosten. Daher hatte der Beklagte den Kläger bereits früher aufgefordert, die Kosten der Unterkunft zu senken. Bei der endgültigen Festsetzung der Leistungen für den streitigen Zeitraum berücksichtigte der Beklagte Bedarfe für Unterkunft und Heizung nur bis zu 449 Euro, dem einschlägigen Richtwert der AV-Wohnen 2015.

Nach erfolglosem Widerspruch hat das Sozialgericht die auf die Berücksichtigung dieser Bedarfe in tatsächlich anfallender Höhe gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht den Beklagten unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen verurteilt, dem Kläger für die Monate Juli, September, Oktober und Dezember 2015 sowie Januar bis Juni 2016 höhere Leistungen zu zahlen. Zwar beruhe die AV-Wohnen 2015 auf einem schlüssigen Konzept zur Ermittlung der Nettokaltmiete, der Beklagte habe jedoch nicht nachgewiesen, dass im Streitzeitraum Wohnungen zu dem vom ihm für angemessen erachteten Richtwert in hinreichender Zahl zur Verfügung standen. Weil das Gericht außerstande sei, selbst einen abstrakten Angemessenheitswert zu bestimmen, sei auf die Beträge aus § 12 Wohngeldgesetz zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von zehn Prozent zurückzugreifen. Die Übernahme darüber hinausgehender Beträge könne der Kläger nicht beanspruchen. Ein weiteres Kostensenkungsverfahren sei nicht notwendig gewesen. Zudem habe der Kläger nicht ausreichend dargelegt, überhaupt eine andere Wohnung gesucht zu haben.

Mit der vom Landessozialgericht zugelassenen Revision rügt der Beklagte sinngemäß eine Verletzung von § 22 Absatz 1 Satz 1 SGB II. Das Landesozialgericht lege seinem Urteil keinen klaren Prüfungsmaßstab zugrunde. Entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts seien die Angemessenheitswerte unter Zugrundelegung der sogenannten Produkttheorie in einem mehrstufigen Verfahren auf Grundlage eines qualifizierten Mietspiegels ermittelt worden. Danach habe bisher angenommen werden können, dass Wohnungen zu dem als angemessen ermittelten Betrag in hinreichender Zahl tatsächlich zur Verfügung stehen. Nunmehr fordere die Rechtsprechung auch in diesen Fällen die Verfügbarkeit angemessenen Wohnraums gesondert zu belegen. Dabei sei weder der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts noch dem angegriffenen Urteil zu entnehmen, was unter den Begriffen "hinreichende Anzahl (von Wohnungen)" und "Verfügbarkeit" zu verstehen sei. Der verlangte Nachweis könne praktisch nur anhand eines Vergleichs des Anteils der Wohnungen im Gesamtbestand, die zu den Richtwerten anmietbar seien, und des Anteils geringverdienender Haushalte in der Bevölkerung geführt werden. Das angegriffene Urteil sei in sich widersprüchlich, wenn das Landessozialgericht zunächst die einzelnen Prüfungsschritte bestätige, dann jedoch den daraus abgeleiteten Anteil der zu den Richtwerten anmietbaren Wohnungen nicht anerkenne.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Berlin, S 136 AS 13354/16, 13.10.2020
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, L 14 AS 1570/20, 23.07.2024

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 36/25.

Terminbericht

Der Senat hat das Urteil des Landessozialgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Auf Grundlage dieses Urteils konnte der Senat nicht abschließend beurteilen, ob das Konzept, welches der Beklagte der AV-Wohnen 2015 zugrunde gelegt hat, den Anforderungen an die Schlüssigkeit von Konzepten zur Bestimmung der abstrakt angemessenen Nettokaltmiete genügt. Das Berufungsurteil beruht auf einem unzutreffenden Prüfungsmaßstab, indem das Landessozialgericht einerseits davon ausgegangen ist, dass den AV-Wohnen ein schlüssiges Konzept zur Bestimmung der abstrakt angemessenen Nettokaltmiete zugrunde liege, es sich aber andererseits nicht davon überzeugen konnte, dass zu den abstrakt angemessenen Werten Wohnungen tatsächlich verfügbar seien. Erfolgt die Ermittlung der angemessenen Miethöhe im Rahmen eines schlüssigen Konzepts in einem methodisch abgesicherten Verfahren, bedarf es regelmäßig keines gesonderten Prüfungsschrittes zum Nachweis der hinreichenden Verfügbarkeit von Wohnraum zu dem ermittelten Wert.

Das schlüssige Konzept soll die Gewähr dafür bieten, dass die aktuellen Verhältnisse des Mietwohnungsmarkts im Vergleichsraum dem Angemessenheitswert zugrunde liegen und dieser realitätsgerecht ermittelt wird. Dazu muss das Konzept neben rechtlichen Voraussetzungen auch bestimmte methodische Voraussetzungen erfüllen und nachvollziehbar sein. Bei Ermittlung der angemessenen Miethöhe in einem methodisch abgesicherten Verfahren kann im Sinne einer Tatsachenvermutung davon ausgegangen werden, dass es in einem ausreichenden Maße Wohnungen zu der abstrakt angemessenen Leistung für die Unterkunft gibt. Wie dieses sichergestellt wird, ist eine Frage des methodischen Vorgehens im Einzelfall. Dies fällt in die Entscheidungszuständigkeit der Verwaltung und kann auf unterschiedliche Art und Weise erfolgen. Die gerichtliche Überprüfung des gewählten methodischen Vorgehens erfolgt sodann als nachvollziehende Kontrolle.

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird das Landessozialgericht zu prüfen haben, ob das methodische Vorgehen des Beklagten innerhalb seines Konzepts die Frage ausreichender tatsächlicher Verfügbarkeit angemessenen Wohnraums berücksichtigt und ob die gewählte Methode hinreichend geeignet ist, die Tatsachenvermutung ausreichender Verfügbarkeit zu begründen. Sollte dies nicht der Fall sein, wird das Landessozialgericht dem Beklagten erneut Gelegenheit zur Nachbesserung seines Konzepts geben müssen. Sofern es darauf noch ankommen sollte, liegt es nahe, dass die Zahl nachfragender Haushalte - anders als vom Landessozialgericht angenommen - zumindest näherungsweise bestimmt werden kann. Jedenfalls ist auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des Landessozialgerichts nicht ersichtlich, dass bereits jetzt ein Erkenntnisausfall vorliegt, der den Rückgriff auf die Wohngeldtabelle zuzüglich eines Sicherheitszuschlags rechtfertigt.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 36/25.

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