Verhandlung B 7 AS 30/24 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Arbeitslosengeld II - Regelbedarf - Höhe - Einmalzahlung - Preisentwicklung - Preissteigerung - Verfassungsmäßigkeit
Verhandlungstermin
02.12.2025 11:15 Uhr
Terminvorschau
R. K. ./. Jobcenter im Kreis Borken, Gemeinde Reken
Der Kläger beansprucht höheres Arbeitslosengeld II für Januar bis Dezember 2022. Neben der von ihm als verfassungswidrig zu niedrig befundenen Höhe des Regelbedarfs stehen auch Leistungen für Unterkunft und Heizung sowie pandemiebedingte Mehrbedarfe im Streit.
Der alleinstehende Kläger wohnte im streitigen Zeitraum mit seinen Eltern in deren Eigenheim. Er stand seit 2005 im Bezug von Arbeitslosengeld II. Im November 2021 machte er gegenüber dem beklagten Jobcenter pandemiebedingte Mehrbedarfe für Masken und Desinfektionsmittel geltend. Seinem Fortzahlungsantrag für das Jahr 2022 fügte er eine Bescheinigung seiner Eltern bei, die darin bestätigten, dass zwischen ihnen eine “Vereinbarung gemäß § 550 BGB“ bestehe, wonach der Kläger 1/3 der entstehenden Heiz- und Nebenkosten und insofern für das Jahr 2022 Abschläge von 100 Euro monatlich zu zahlen habe. Die Kosten seien seit 2017 gestundet, da der Beklagte Leistungen hierfür nicht rechtzeitig bewilligt habe. Der Beklagte bewilligte Arbeitslosengeld II für Januar bis Dezember 2022 ohne Berücksichtigung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung. Den Antrag auf Bewilligung eines pandemiebedingten Mehrbedarfes lehnte er ab. Die Widersprüche des Klägers blieben erfolglos. Auch vor dem Sozialgericht konnte der Kläger mit seinen Begehren nicht durchdringen. Das Landessozialgericht hat die Berufung unter anderem mit der Begründung zurückgewiesen, im Hinblick auf die Höhe des Regelbedarfs sei keine “evidente Verfassungswidrigkeit“ zu erkennen. Der Gesetzgeber sei seiner Pflicht zur zeitnahen Reaktion auf die hohe Inflationsrate durch eine Einmalzahlung von 200 Euro im Juli 2022 und eine deutliche Erhöhung des Regelbedarfs zum 1. Januar 2023 nachgekommen. Die Voraussetzungen für einen Mehrbedarf nach § 21 Absatz 6 SGB II seien nicht gegeben. Auch ein Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Absatz 1 SGB II bestehe nicht, weil entsprechende Kosten nicht nachgewiesen seien.
Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Es ergebe sich angesichts der Preisentwicklung eine Unterdeckung im Jahr 2022 von insgesamt 574,96 Euro.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Münster, S 11 AS 90/22, 25.11.2022
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, L 12 AS 1814/22, 13.12.2023
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Terminbericht
Der Kläger konnte mit seinem Begehren auf höheres Arbeitslosengeld II von Januar bis Dezember 2022 nicht durchdringen. Der Beklagte hat den für den alleinstehenden Kläger maßgeblichen Regelbedarf nach der Regelbedarfsstufe 1 zutreffend mit 449 Euro monatlich bestimmt.
Es bestand kein Anlass, das Verfahren nach Artikel 100 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Vereinbarkeit der § 20 Absatz 1a SGB II, §§ 28, 28a SGB XII und des Regelbedarfsermittlungsgesetz 2021 in Verbindung mit der Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung 2022 mit dem Grundgesetz einzuholen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe in der Sache B 7 AS 20/24 R verwiesen. Sie kommen in ihrer Gesamtheit nicht nur für den dort streitigen Monat Oktober 2022 zum Tragen, sondern gelten für das gesamte Jahr 2022.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung von Mehrbedarfen nach § 21 Absatz 6 SGB II. Danach wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht. Gemäß § 21 Absatz 6 Satz 2 SGB II ist der Mehrbedarf unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Zwar ist § 21 Absatz 6 SGB II - wie der Senat insoweit bereits entschieden hat - auch für im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie stehende Aufwendungen wie zum Beispiel zum Kauf von Masken oder Desinfektionsmitteln anwendbar und kann auch neben der Einmalzahlung nach § 73 SGB II zu erbringen sein. Nach den für den Senat bindenden Gesamtfeststellungen des Landessozialgerichts waren die beim Kläger gegebenenfalls vorhandenen Bedarfe allerdings zumindest nicht unabweisbar im Sinne des § 21 Absatz 6 SGB II.
Ebenso wenig kann der Kläger mit seinem Begehren nach höherem Arbeitslosengeld II wegen der von ihm geltend gemachten Bedarfe für Unterkunft und Heizung durchdringen. Nach § 22 Absatz 1 Satz 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Selbst wenn angenommen werden könnte, dass der Kläger einer tatsächlichen Forderung seiner Eltern für Mietzahlungen ausgesetzt gewesen sein sollte, ist deren Höhe nicht nachgewiesen.
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