Bundessozialgericht

Verhandlung B 2 U 5/23 R

Unfallversicherung - Berufskrankheit - bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule - Betonbau - Eisenflechter

Verhandlungstermin 09.12.2025 14:00 Uhr

Terminvorschau

R. B. ./. Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft
Der Kläger war als Betonbauer und als Eisenflechter beschäftigt. Aufgrund des Verdachts einer Berufskrankheit ermittelte die Beklagte eine Gesamtbelastungsdosis von 19,5 Mega-Newtonstunden und Bandscheibenvorfälle in den Segmenten L4/5 und L5/S1. Daraufhin lehnte sie die Anerkennung einer Berufskrankheit Nummer 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (Berufskrankheit 2108 “Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugenhaltung,…“) ab. Ein Zusammenhang des Bandscheibenschadens mit der beruflichen Tätigkeit sei nicht wahrscheinlich zu machen.

Im Klageverfahren hat die Beklagte zur Zusammenhangsbeurteilung nach den Konsensempfehlungen eine gutachtliche Stellungnahme zur B2-Konstellation von Dr. G. aus einem anderen Rechtsstreit vorgelegt, wonach unter dem Zusatzkriterium 1 “mehrere“ Bandscheiben immer “mindestens drei“ gemeint gewesen seien. Das Sozialgericht hat ein Gutachten von Prof. Dr. S. aus einem anderen Rechtsstreit beigezogen und bei diesem eine Stellungnahme eingeholt, wonach bei der Beschlussfassung über die Konstellation B2 der bisegmentale Schaden keine Rolle gespielt habe. Nach den Gesetzen der Logik müsse er mit erfasst sein. Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht hat die Berufung nach Beiziehung von Auszügen aus den Beratungsprotokollen zu den Konsensempfehlungen zurückgewiesen. Für die Befund-konstellation B1 im Sinne der Konsensempfehlungen fehle es an einer Begleitspondylose. Die Befundkonstellation B2 sei nicht erfüllt, weil weder eine Höhenminderung und/oder ein Prolaps an mindestens drei Bandscheiben vorliege. Nach den vorliegenden wissenschaftlichen Äußerungen gebe es zu den Beratungen über diese Befundkonstellation unterschiedliche Wahrnehmungen und insoweit einen versteckten Dissens. Dies führe zur B3-Befundkonstellation, bei der über den Ursachenzusammenhang kein Konsens bestehe. Individuelle Umstände, die diesen Zusammenhang im konkreten Einzelfall dennoch als hinreichend wahrscheinlich erscheinen ließen, seien im Falle des Klägers nicht zu erkennen. Bei der Erstmanifestation der bandscheibenbedingten Erkrankung sei er nicht jünger als 30 Lebensjahre gewesen.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 103 SGG sowie einen Verstoß gegen § 9 Absatz 1 Satz 2 SGB VII in Verbindung mit Nummer 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Potsdam, S 2 U 12/16, 09.05.2019
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, L 21 U 113/19, 20.01.2023

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 42/25.

Terminbericht

Die Revision des Klägers ist im Sinne der Zurückverweisung erfolgreich.

Die festgestellten Tatsachen reichen nicht aus, um abschließend zu entscheiden, ob der Kläger wegen seiner Bandscheibenerkrankung Anspruch auf Feststellung einer Berufskrankheit nach Nummer 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung hat.

Die generelle Feststellung des Landessozialgerichts, dass nach dem im 1. Zusatzkriterium der Befundkonstellation B2 abgebildeten aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand ein Ursachenzusammenhang erst ab einem drei Bandscheiben betreffenden Schaden angenommen werden kann, hat der Kläger erfolgreich mit Verfahrensrügen angegriffen. Für diese Auslegung der Konsensempfehlungen hätte das Landessozialgericht einer Bestätigung durch ein Sachverständigengutachten bedurft. Die Stellungnahmen und Äußerungen, auf die sich das Landessozialgericht beruft, bestätigen dessen Auslegung der Konsensempfehlungen nicht, wonach hinsichtlich bisegmentaler Schäden ein versteckter Dissens bestanden habe, der einen Konsens hinsichtlich Schäden an drei Bandscheiben beinhaltet habe. Bei den Konsensempfehlungen handelt es sich um einen medizinischen Text, der einen wissenschaftlichen Erkenntnisstand abbildet. Insoweit ist nicht maßgeblich, wie darin enthaltene mehrdeutige Formulierungen ursprünglich verstanden wurden, sondern wie diese aktuell von der großen Mehrheit der Fachwissenschaftler verstanden werden.

Es lässt sich auch nicht abschließend beurteilen, ob das Zusatzkriterium 2 (besonders intensive Belastung) oder das Zusatzkriterium 3 (besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen) der Befundkonstellation B2 vorliegt. Denn die Berechnungen des Präventionsdienstes sind insoweit erkennbar lückenhaft. Sollte das Landessozialgericht in dem wieder eröffneten Berufungsverfahren das festgestellte Schadensbild nicht der Befundkonstellation B2 zuordnen können, wird es bei der Befundkonstellation B3 eine umfassendere Einzelfallprüfung vorzunehmen haben. Die Konsensempfehlungen sprechen für diese Konstellation keine positive oder negative Empfehlung hinsichtlich des Verursachungszusammenhangs aus, sondern weisen auf einen fehlenden Konsens hin. Dies bedeutet indes nicht, dass damit eine Anerkennung des Verursachungszusammenhangs im Einzelfall unmöglich wäre. Denn gibt es keinen gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu einer bestimmten Fragestellung, kann in Abwägung der verschiedenen Auffassungen einer nicht nur vereinzelt vertretenen Auffassung gefolgt werden. Das Landessozialgericht hat bei seiner Einzelfallprüfung insoweit lediglich das Alter bei Erstmanifestation der bandscheibenbedingten Erkrankung und eine nicht altersuntypisch imponierende Höhenminderung des Zwischenwirbelraums L5/S1 erwähnt und alle sonstigen Umstände des Einzelfalls unberücksichtigt gelassen.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 42/25.

Hinweis zur Verwendung von Cookies

Wir verwenden ausschließlich Sitzungs-Cookies, die für die einwandfreie Funktion unserer Webseite erforderlich sind. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir diese Cookies einsetzen. Unsere Informationen zum Datenschutz erhalten Sie über den Link Datenschutz.

OK