Verhandlung B 6a/12 KR 1/24 R
Versicherungs- und Beitragsrecht - Krankenversicherung - freiwilliges Mitglied - angestellter Geschäftsführer - Gehalt - Beschäftigungsverhältnis - Ende - Insolvenzverfahren
Verhandlungstermin
10.12.2025 09:00 Uhr
Terminvorschau
B. L. ./. Techniker Krankenkasse
beigeladen: Bundesagentur für Arbeit
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger als freiwilliges Mitglied der beklagten Krankenkasse aus seinem Gehalt als angestellter Geschäftsführer Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung zu zahlen hat, obwohl ihm dieses nicht zugeflossen ist.
Die Arbeitgeberin des Klägers zahlte ihm seit dem 1. Januar 2015 das vereinbarte Gehalt in Höhe von 5000 Euro monatlich nicht mehr aus. Das Beschäftigungsverhältnis endete zum 30. November 2015. Ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Arbeitgeberin wurde erst am 1. März 2016 eröffnet. Der Kläger meldete zwar seine Gehaltsforderungen an, erhielt letztlich aber keine Zahlungen aus der Insolvenzmasse. Die Beklagte setzte die Beiträge für den streitigen Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis zum 30. November 2015 ausgehend von einem Einkommen über der Beitragsbemessungsgrenze von damals 4125 Euro fest. Der Widerspruch des Klägers, mit dem dieser sich gegen die Höhe der Beiträge wandte, blieb erfolglos.
Das Sozialgericht hat den Beitragsbescheid aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Beiträge unter Berücksichtigung des tatsächlichen Einkommens des Klägers neu festzusetzen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Auf arbeitsrechtlich geschuldetes Arbeitsentgelt seien auch dann Beiträge zu zahlen, wenn es nicht an den Beschäftigten ausgezahlt werde. Maßgebend sei nicht das Zufluss-, sondern allein das Entstehungsprinzip. Ein Abweichen hiervon würde zu schwer lösbaren Problemen bei der Beitragsfestsetzung führen. In Anbetracht der langen Dauer von Insolvenzverfahren könne nicht offenbleiben, ob Beiträge auf das Arbeitsentgelt zu zahlen sind.
Der Kläger rügt mit seiner Revision eine Verletzung des § 240 Absatz 1 Satz 2 SGB V sowie des allgemeinen Gleichheitssatzes. Die Anwendung des Entstehungsprinzips möge bei versicherungspflichtigen Anstellungsverhältnissen interessengerecht sein, da dort der Arbeitgeber die Abführung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags schulde. Als freiwilliges Mitglied der Beklagten sei er jedoch selbst Beitragsschuldner und trage daher das Insolvenzrisiko, wenn es ihm nicht ermöglicht werde, sich auf die fehlende Auszahlung des vereinbarten Arbeitsentgelts zu berufen. Er werde insofern auch in ungerechtfertigter Weise gegenüber abhängig Beschäftigten und gegenüber selbstständigen freiwillig Versicherten, bei denen mit dem Einkommensteuerbescheid der ausgebliebene Gewinn und damit der Zufluss berücksichtigt werde, ungleich behandelt.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Hamburg, S 2 KR 1640/17, 21.06.2022
Landessozialgericht Hamburg, L 1 KR 67/22 D, 14.09.2023
Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 40/25.
Terminbericht
Die Revision des Klägers war erfolglos. Zu Recht hat das Landessozialgericht das Urteil des Sozialgerichts für die streitige Zeit vom 1. Januar 2015 bis zum 30. November 2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Kläger hatte als freiwilliges Mitglied der Beklagten aus seinem Arbeitsentgelt als angestellter Geschäftsführer Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung zu zahlen, obwohl ihm dieses nicht zugeflossen ist.
Auch für freiwillige Mitglieder beurteilt sich die Beitragshöhe regelmäßig allein nach dem arbeitsrechtlich geschuldeten Arbeitsentgelt. Für die Höhe der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung gilt - ebenso wie für die Feststellung der Versicherungspflicht und der Beitragspflicht - das in § 22 Absatz 1 Satz 1 SGB IV verankerte Entstehungsprinzip. Danach entstehen die Beitragsansprüche der Versicherungsträger, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Maßgebend für das Entstehen von Beitragsansprüchen auf Arbeitsentgelt ist damit allein der arbeitsrechtlich geschuldete Entgeltanspruch, ohne Rücksicht darauf, ob und in welcher Höhe dieser Anspruch im Ergebnis durch Entgeltzahlung erfüllt wird. Einer Abweichung vom Entstehungsprinzip für freiwillige Mitglieder, da diese - anders als versicherungspflichtig Beschäftigte - den Beitrag allein zu tragen und zu zahlen haben, steht schon § 240 Absatz 2 Satz 1 SGB V entgegen. Nach dieser Vorschrift sind bei der Bestimmung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds mindestens die Einnahmen zu berücksichtigen, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung zugrunde zu legen sind. Zudem wird die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bei einem freiwilligen Mitglied bereits durch das geschuldete Arbeitsentgelt geprägt.
Darin, dass der Kläger anschließend beim Beitragseinzug anders behandelt wird als ein pflicht-versicherter Beschäftigter, liegt auch kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Artikel 3 Absatz 1 GG, da freiwillig Versicherte im Grundsatz weniger schutzbedürftig sind als pflichtversicherte Beschäftigte. Auch gegenüber selbstständigen freiwillig Versicherten oder anderen freiwillig Versicherten, bei denen für die Beitragserhebung auf den nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelten Gewinn und damit aufzugeflossene Einnahmen abgestellt wird, liegt keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung vor. Denn dies ist durch die Unterschiede der Einnahmearten sachlich gerechtfertigt. Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit können im Jahresverlauf erheblichen Schwankungen unterliegen, die eine jahresweise Betrachtung erforderlich machen. Außerdem sprechen Gründe der Verwaltungs-vereinfachung für die grundsätzliche Parallelität von sozialversicherungs- und steuerrechtlicher Einkommensermittlung bei einer selbstständigen Tätigkeit.
Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 40/25.