Verhandlung B 10/12 KR 7/23 R
Versicherungs- und Beitragsrecht - Kranken- und Pflegeversicherung der Landwirte - Versicherungspflicht - Versicherungsfreiheit - landwirtschaftliche Unternehmertätigkeit - Erbausschlagungsfrist
Verhandlungstermin
11.12.2025 11:30 Uhr
Terminvorschau
N. K. ./. Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger in der landwirtschaftlichen Kranken- und Pflegeversicherung pflichtversichert ist und ob ihm gegebenenfalls ein Anspruch auf Befreiung zusteht.
Der Kläger ist testamentarischer Erbe eines auf Bodenbewirtschaftung beruhenden landwirtschaftlichen Unternehmens. Zum Zeitpunkt des Erbfalls (24. Juni 2016) war er erst 15 Jahre alt und noch schulpflichtig und über seine allein sorgeberechtigte, verbeamtete Mutter beihilfeberechtigter Familienangehöriger und im Übrigen privat krankenversichert.
Am 1. Juli 2016 wurde das Testament eröffnet. Nach dessen Auffinden wenige Tage zuvor hatte sich die Mutter des Klägers gemeinsam mit weiteren Personen um die Fortführung des Unternehmens gekümmert. Mit am 28. Oktober 2016 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben beantragte sie, den Kläger von der Versicherungspflicht zu befreien. Dies lehnte die Beklagte ab, da die Antragsfrist nach Aufnahme der unternehmerischen Tätigkeit am 25. Juni 2016 bereits abgelaufen sei. Darüber hinaus teilte sie dem Kläger durch weiteren Bescheid mit, dass sie ihn seitdem als Mitglied führe und setzte die entsprechenden Beiträge fest.
Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht hat das erstinstanzliche Urteil geändert und die Pflichtmitgliedschaft des Klägers erst für die Zeit ab dem 13. August 2016 festgestellt. Da bis zum Ablauf der Frist zur Erbausschlagung kein hinreichend als Willensbetätigung erkennbares Handeln feststellbar sei, in dem sich die unternehmerische Tätigkeit des Klägers gezeigt habe, sei die Versicherungspflicht erst zu diesem Zeitpunkt eingetreten. Die begehrte Befreiung von derselben komme gleichwohl nicht in Betracht, weil der Kläger bis zuletzt den Nachweis einer anderweitigen Absicherung im Krankheitsfall nicht erbracht habe. Der Befreiung stehe zudem entgegen, dass der Kläger inzwischen Leistungen von der Beklagten in Anspruch genommen habe.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 4 Absatz 2 Satz 3 und 4 Zweites Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte 1989. Mit ihrer Anschlussrevision rügt die Beklagte insbesondere, der vom Berufungsgericht ausgesprochenen Feststellung des Beginns der Versicherungspflicht stehe die Bestandskraft ihres weiteren Bescheids entgegen.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Neuruppin 28.10.2019, S 33 KR 248/17
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg 29.06.2023, L 1 KR 435/19
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Terminbericht
Der Kläger war auch in der Zeit vom 13. August 2016 bis zum 31. Juli 2017 nicht als landwirtschaftlicher Unternehmer in der landwirtschaftlichen Kranken- und Pflegeversicherung pflichtversichert. Der Begriff des Unternehmers wird in § 2 Absatz 3 Satz 1 Zweites Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte 1989 durch zwei Elemente geprägt: die “Selbständigkeit“ und die Ausübung der Tätigkeit als “Beruf“. Wer nicht zum Kreis der Erwerbstätigen gehört, übt keine berufliche Tätigkeit in diesem Sinne aus. Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts war der Kläger im genannten Zeitraum 15 beziehungsweise 16 Jahre alt und kam seiner Vollzeitschulpflicht an einer allgemeinbildenden Schule nach. Dem Erscheinungsbild nach war er daher “Schüler“ und gerade nicht berufsmäßig handelnder Unternehmer. Neben dem allgemeinen Sprachgebrauch spricht die Entwicklung des Versicherungspflichttatbestands dafür, dass er einen beruflichen Schwerpunkt in der Landwirtschaft voraussetzt. Ein gesetzessytematischer Vergleich mit zeitgeringfügigen Beschäftigungen sowie dem sogenannten Werkstudentenprivileg bestätigt dieses Ergebnis. Für ein enges Verständnis der Regelung spricht schließlich, dass das den Versicherungspflichttatbestand einschränkende Tatbestandsmerkmal der beruflichen Tätigkeit der verfassungsrechtlich notwendigen Rechtfertigung des mit der zwangsweisen Kranken- und Pflegeversicherung verbundenen Eingriffs in die allgemeine Handlungsfreiheit dient.
Für den Zeitraum nach dem 31. Juli 2017 war das Rechtsmittel des Klägers im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung an das Landessozialgericht begründet. Auf Grundlage der bisherigen Feststellungen konnte der Senat nicht beurteilen, ob der Kläger ab dem 1. August 2017 der Pflichtversicherung in der landwirtschaftlichen Kranken- und Pflegeversicherung unterlag. Dazu fehlen Feststellungen zu der Frage, ob der Kläger auch in dieser Zeit ausnahmsweise noch der Vollzeitschulpflicht unterlag. Neben diesbezüglichen Ermittlungen wird das Landessozialgericht auch zu prüfen haben, ob der Kläger zumindest in diesem Zeitraum auch eine selbständige Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer ausgeübt hat. Allein das Verstreichenlassen der Erbausschlagungsfrist ist als Unterlassen kein geeigneter Anknüpfungspunkt für die Annahme einer selbständigen Tätigkeit durch den Kläger.
Die zulässige Anschlussrevision der Beklagten war dagegen unbegründet und deswegen zurückzuweisen. Entgegen ihrer Ansicht steht der Bescheid vom 23. November 2016 der gerichtlichen Feststellung der Versicherungspflicht nicht entgegen, da dieser mit dem Bescheid vom 21. November 2016 insoweit eine rechtliche Einheit bildet.
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